„Kurzfristige Förderprogramme für die Städte reichen nicht mehr

Kämmerer Heinz-Dieter Wette fordert neue strukturelle Finanzhilfen von Bund und Land

Er ist der Herr über alle finanziellen Operationen in kritischen Zeiten: Der Gütersloher Heinz-Dieter Wette, 54, verheiratet und Vater von drei Kindern, ist seit dem 1. August Kämmerer und Beigeordneterfür denGeschäftsbereich 2 (Finanzen, Recht, Ordnung, Bürger- und Ausländerangelegenheiten). Vorher war er Kämmerer der Gemeinde Herzebrock-Clarholz. gt!nfo sprach mit ihm über Rechte und Pflichten eines Kämmerers, über sein Selbstverständnis im Amt und über die Herausforderungen seines ersten großen Projekts: die Aufstellung des Haushaltsplans 2026. Dabei spart er nicht mit deutlicher Kritik an den Systemfehlern der Finanzausstattung von Kommunen in Deutschland. Gütersloh drohe ein Finanzkollaps.

Herr Wette, nach drei Monaten Amtszeit als Stadtkämmerer in Gütersloh gleich einen Haushaltsplan für das kommende Jahr aufstellen zu müssen, ist wohl der klassische Sprung ins kalte Wasser. Hatten Sie genug Zeit, den Haushalt bis in die Tiefe zu durchdringen?

Wette: Natürlich muss ich mich da auch noch reinarbeiten. Es gibt ja zu jedem Thema eine Vorgeschichte, die ich im Detail kennenlernen muss. Grundsätzlich ist es aber auch so, dass ich als Bürger dieser Stadt die Themen kenne. Und ich bin regelmäßig im Gespräch mit den bisherigen Ausschussvorsitzenden und den Fraktionen, und das in einer wertschätzend-professionellen Atmosphäre, fühle mich also gut vorbereitet auf die Aufgaben, die jetzt vor uns liegen.

Wie sehen Sie sich selbst in Ihrer Funktion als Stadtkämmerer? Mehr Buchhalter oder mehr politisch Gestaltender?

Ich bin nicht der klassische Buchhalter. Mein Aufgabenprofil ist, nach Gestaltungsspielräumen im Haushalt zu suchen, um Projekte umsetzen zu können.Ich weiß aber auch, dass ein Stadtkämmerer grundsätzlich eher in der Rolle des Spielverderbers ist. Es ist nun mal nicht alles finanzierbar. Wenn es diese Zeiten mal gegeben hat: Sie sind vorbei. Ich muss also Bewusstsein schaffen für den Zwang, Prioritäten zu setzen. Das gehört zur strategischen Finanzplanung, für die ich verantwortlich bin. Jeder weiß, dass nicht alles umsetzbar ist. Aber auch in guten Zeiten bedeutet das, dass wir das Geld nicht aus dem Fenster werfen, da würde ich dann die Euphorie bremsen. Wenn das Geld knapp ist: priorisieren. Das bedeutet erst den Kampf in der Verwaltung, der zweite Kampf ist die Vermittlung in die Politik.

Dann sehen Sie sich eher als eine neutrale Figur?

Als Kämmerer bin ich nicht emotional unterwegs, sondern versuche, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um das politisch Gewünschte auch umsetzen zu können. Gibt es Fördertöpfe bei Land und Bund? Welche Umschichtungen bieten sich im Haushalt an? Ich bin nicht der Neinsager, sondern der Ermöglicher von Rahmenbedingungen. Das ist meine Rolle.

Ein Job, der viel Kommunikation erfordert.

Auf jeden Fall. Ein Kämmerer ist immer im Austausch mit den politischen Sprechern, den Vertretern der Fachbereiche, dem Verwaltungsvorstand. Das konkrete Projekt, das in der Regel als Antrag im Fachausschuss eingebracht wird, ist die eine Seite, der Blick auf die Verpflichtungen des gesamten Haushalts der Stadt die andere Seite. Ich hole die entsprechenden Experten aus den Fachbereichen zusammen und lasse ermitteln, wie viel die Umsetzung bestimmter Anträge mit ihren konsumtiven und investiven Ausgaben überhaupt kosten würde, damit wir als Verwaltung Stellung nehmen können.

Am 14. November tagt der konstituierende Rat, der nach der Kommunalwahl Anfang September ein neues Gesicht hat. Verzögert sich dadurch nicht die Aufstellung des Haushalts 2026?

Ich bin zuversichtlich, dass der Zeitplan, den wir uns gesetzt haben, eingehalten werden kann. Richtig starten kann die politische Arbeit aber sicher erst, wenn klar ist, wer welche Ausschüsse führt und dazu gehört jetzt auch die AfD, die das Zugriffsrecht auf zwei Ausschüsse hat. Geplant ist aber weiterhin: Die Verwaltung wird den Haushaltsplanentwurf 2026, bestätigt vom Bürgermeister, am 18. Dezember in den neuen Rat einbringen. Es ist Tradition in Gütersloh, dass danach noch in zwei Ratssitzungen diskutiert wird. Wir wollen dann im März den Haushalt 2026 plus den Finanzplan für die folgenden drei Jahre, also bis 2029, beschließen. Ein Haushaltsplan muss immer vier Jahre abbilden und auch einen ausgeglichenen Haushalt ausweisen.

Eigentlich gibt es doch die Vorgabe, den Haushaltsplan noch im alten Jahr zu beschließen, um dann auch schon direkt mit Maßnahmen starten zu können?

Ja, aber viele Kommunen gehen lieber in den Februar, weil sie erst den Kreishaushalt und damit die Höhe der Kreisumlage und auch den zu erwartenden Finanzausgleich des Landes abwarten wollen. Dann sind also erst die Rahmenbedingungen klar.

Und was ist, wenn man einen ausgeglichenen Haushalt nicht abbilden kann?

Wenn man merkt, wir schaffen das nicht, muss man ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen. Die Vorgaben lauten dann, eine dauerhafte Aufgabenerfüllung sicherzustellen und den Betrachtungszeitraum von drei auf zehn Jahre zu erweitern. Innerhalb dieses Zeitraums muss wieder ein ausgeglichener Haushalt ermöglicht werden, spätestens im zehnten Jahr. Noch haben wir Rücklagen, mit denen wir den aktuellen Haushalt ausgleichen können. Langfristig können wir das aber nicht mehr, deswegen wurde die Verwaltung vom Rat aufgefordert, den Zehnjahresplan zu entwickeln. Auf dieser Grundlage beschloss der Rat ein sogenanntes freiwilliges Haushaltssicherungskonzept. Wir stellen darin dar, was wir tun müssten, um das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts zu erreichen.

Wie optimistisch sind Sie, dass Gütersloh in zehn Jahren die chronische Unterfinanzierung überwunden haben wird?

Optimistisch bin ich nur, was den Haushalt 2026 angeht, den werden wir als „nicht genehmigungspflichtig“ hinbekommen. Perspektivisch fehlt mir ehrlich gesagt die Phantasie, wie man die Defizite aus eigener Kraft in zehn Jahren ausgleichen kann. Das wird nicht funktionieren ohne strukturelle Hilfen von Bund und Land. Es wird nicht mehr reichen, immer nur kurzfristige Förderprogramme aufzulegen. Eine langfristige Finanzierung aller notwendigen Investitionen in den Kommunen wird damit nicht sichergestellt. Es ist ein Systemfehler, dass die Aufgaben und Standards von Bund und Land gegeben werden, die auskömmliche Finanzierung dafür aber nicht. Auch die über 39 Millionen Euro, die wir aus dem Infrastrukturpaket des Landes erhalten, können im Verhältnis zu unseren geplanten Investitionen den Bedarf nur geringfügig abdecken.

Es braucht also größere Lösungen, die den Bund und das Land mehr in die Pflicht nehmen, weil die einzelne Stadt die gestiegenen Aufgaben schlicht nicht finanzieren kann?

Ja, das ist die aktuelle Diskussion und sie geht in die richtige Richtung. Eine Lösung wäre, von übertriebenen Standards, zum Beispiel im Baubereich, runterzukommen. Das System muss sich grundsätzlich ändern. Es ist offensichtlich, dass wir unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen hier in einen Finanzkollaps laufen. Wenn die Regelsätze bei den Sozialleistungen und die Betreuungskosten bei der Jugendhilfe stetig steigen und gleichzeitig auch die Personalkosten, ist es kein Wunder, dass die Schulden bei uns auf 244 Millionen Euro in 2024 gestiegen sind. Der Gesetzgeber muss die Finanzausstattung von Kommunen ändern, zum Beispiel durch einen höheren Anteil an der Einkommenssteuer und der Umsatzsteuer.

Sind beim Zehnjahresplan die Unwägbarkeiten schon eingerechnet?

Man arbeitet mit Annahmen und mit dem Erkenntnisstand von heute. Was man hat, ist zum Beispiel die Steuerschätzung und man kann auch Tarifsteigerungen annehmen. Vielleicht auch eine Konjunkturerwartung. Aber keiner kann sagen: In acht Jahren gibt es einen Knick.

Hat Gütersloh in der Vergangenheit schlecht gewirtschaftet?

Nein. Das ist ja eine bundesweite Entwicklung. Nur eine Zahl: Die Finanzdefizite aller deutschen Kommunen summierten sich 2023 auf 6 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr, also 2024, waren es schon rund 25 Milliarden. Es liegt an den ständig wachsenden Anforderungen des Bundes, nicht an einer falschen Politik vor Ort.

Was macht man, wenn es in einem Haushaltsjahr zu unvorhergesehenen Kosten kommt?

Das ist ja eigentlich normales Geschäft. Grundsätzlich gilt die Vorgabe, mit dem Investitionsdeckel im Haushaltsplan auszukommen. Wenn das nicht möglich ist, bietet sich ein Verschiebebahnhof im Haushalt an. Wenn die Änderungen aber wesentlich werden, bedeutet das, einen Nachtragshaushalt aufzustellen, was man lieber vermeiden möchte, weil es ein langes Verfahren ist.

Können Sie als Kämmerer eine Haushaltssperre durchsetzen?

Ja, die Gemeindeordnung gibt dem Organ des Kämmerers Rechte und Pflichten, und dieses Recht gehört dazu. Ich muss Maßnahmen ergreifen, wenn der Haushalt in eine gefährliche Schieflage gerät. Dann ist nur noch das möglich, wozu wir gesetzlich verpflichtet sind. Zum Beispiel, Löhne und Gehälter auszuzahlen. Eine Haushaltssperre betrifft also nur die freiwilligen Leistungen. Wenn auch das nicht reicht, muss ein Nachtragshaushalt aufgestellt werden.

Was kostet die Stadt Gütersloh im Haushalt am meisten Geld?

Wie erwähnt, ist das der Posten Jugend- und Sozialhilfe, der in unserem 400-Millionen-Haushalt allein schon 70 bis 80 Millionen ausmacht. Da kriegt man eine zehnprozentige Kostensteigerung durch entsprechende Einnahmensteigerungen auf Dauer nicht finanziert.

Wo gibt es noch Einsparmöglichkeiten?

Sehr schwierig, das zu sagen. 90 Prozent der Aufgaben sind Pflichtausgaben, die muss ich also machen. Wir könnten höchstens an der Personalausstattung knapsen, aber das ist auch endlich. Also die jeweils über 40 Millionen Euro Defizite bis 2028, die der Rat der Stadt in seinem freiwilligen Haushaltssicherungskonzept auch nach Berücksichtigung des in NRW möglichen Abzugs eines globalen Minderaufwands prognostiziert, sind eigentlich nicht einzusparen. 2028 wird die Ausgleichsrücklage verfrühstückt sein, dann wird die Luft dünn, denn auch die allgemeine Rücklage, unser Eigenkapital, sinkt bedrohlich. Momentan, so ist die Beschlusslage, müssen wir noch mindestens bis 2029 jährlich 5 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Das wird nicht reichen, deshalb werden wir eine zweite Runde der Haushaltskonsolidierung machen müssen.

Also: Was brauchen wir, was wollen wir, wo dürfen wir auf keinen Fall starten?

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Das ist immer die Frage und sie birgt natürlich Konfliktpotential. Mein Eindruck ist aber, dass alle Player hier in Gütersloh die Situation richtig einschätzen und alle gewillt sind, ihren Teil beizutragen, was ja auch die vielen Einsparvorschläge der Ratsfraktionen im Rahmen des bisherigen Konsolidierungsprozesses zeigen.

Fotos: Wolfgang Sauer

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