Gütersloh und das Corona Zeitalter
Text und Fotos: Susanne Zimmermann
Fünf Jahre sind vergangen, seit im Kreis Gütersloh die ersten Corona-Infektionen gemeldet wurden. „Urlaubsrückkehrer aus Österreich und Südtirol“ seien betroffen, hieß es in den ersten Meldungen des Kreises dazu. Aus 15 „bestätigten Fällen“ am 12. März wurden innerhalb von zwei Wochen 335, sechs Erkrankte lagen auf den Intensivstationen. Da schauten wir schon alle ängstlich auf tägliche Zahlenkolonnen und hofften noch, dass in ein paar Wochen die Verbreitung in den Griff zu bekommen wäre – nicht wissend, dass Corona mindestens in den nächsten zwei Jahren unseren Gütersloher Alltag und die Weltgeschichte im Griff haben würde. Eine Wiedervorlage mit den Blick auf die ersten Wochen Corona in Gütersloh
Die ersten Zusammenkünfte zu Corona im Rathaus hießen noch nicht „Krisenstab“, sondern es tagte „der Stab für außergewöhnliche Ereignisse“. Die erste Konferenz, noch vor Ischgl und den verstörenden Nachrichten aus Bergamo, hatte eher den Charakter einer Übung für einen hoffentlich nie eintretenden Ernstfall. Ein Kollege vermittelte Beruhigendes, als das Thema „Veranstaltungsabsagen“ angesprochen wurde: „Um sich anzustecken muss man schon am Theaterstuhl lecken.“ – Ein paar Wochen später waren wir alle schlauer. Da wollte niemand mehr den Geschmack des Theaterstuhls erproben, denn alle Veranstaltungen waren abgesagt, darunter das komplette hochkarätige Jubiläumsprogramm zu zehn Jahren Theater Gütersloh.
Eine der letzten größeren Veranstaltungen war am 10. März der Neubürgerempfang in der Stadthalle, just an dem Tag, an dem die Bundesregierung empfahl, alle Veranstaltungen über 1000 Teilnehmer abzusagen. Die Resonanz mag stellvertretend für die allgemeine Gemütslage stehen: Gut die Hälfte der Angemeldeten blieb zu Hause, andere wiederum scherten sich nicht um Anti-Kontakt-Empfehlungen. Und so musste der damalige Bürgermeister Henning Schulz immer wieder höflich auch Hände schütteln. Einen Tag später gastierte der Schauspieler Charly Hübner mit Band im Theater, ebenfalls vor vielen leeren Plätzen. Danach war Schluss. Am 16. März informierte die Stadt der Landesverfügung über die Schließung aller öffentlichen Gebäude und über das Verbot jeglicher Veranstaltungen, egal welchen Umfangs. Wie andere Städte verfiel Gütersloh in einen Dornröschenschlaf, den unter anderem das Presseamt in zahlreichen Bildern dokumentierte.
Der Blick ins Bildarchiv triggert Erinnerungen, die nach dem offensichtlichen Ende der Pandemie bei vielen den Rückzug ins Unterbewusste angetreten haben. Schließlich wollten wir unser altes Leben zurück, auch die Schüler und Schülerinnen, die den ersten Lockdown vielleicht noch als Geschenk unerwarteter Ferientagen hinnahmen. Schul- und Kita-Schließungen hatte der Kreis noch am 12. März ausgeschlossen. Doch eine knappe Woche später war auch das Geschichte: Home-Schooling hieß von da an die Linie, während sich die Stadt mühte, umgehend eine Notbetreuung zu organisieren. 170 Anträge aus Kitas und offenem Ganztag seien eingegangen, informierte der zuständige Beigeordnete Henning Matthes in einer Pressemitteilung und blockte gleichzeitig Fragen nach sofortiger Rückerstattung von Beiträgen ab: „Die Sicherung der Notfall-Kinderbetreuung hat oberste Priorität.“
Fortan blieben Verunsicherung, Fassungslosigkeit und die Angst vor einer Ansteckung unsere täglichen Begleiter. Der Schutz der alten Menschen vor einer Erkrankung machte Altenheime zu Festungen, Besuchskontakte am Gartenzaun gehörten schon zum erweiterten Angebot. Gaststätten und Restaurants wurden ebenfalls geschlossen. Stattdessen beherrschten die Autos, Lastenräder und Motorroller der Lieferdienste am Wochenende das Bild der stillen Straßen.
Doch nach der ersten Schockstarre lebte wieder Kreativität auf: Nicht nur der Bachchor „ging You Tube“, auf dem Theaterparkplatz wurde Autokino organisiert und das Gütersloher Brauhaus bot ein intimes Dinner nach Corona-Regeln in zwei Wohnmobilen. In der Stadt entwickelte sich ein neuer Modetrend, als wir noch dachten, dass Stoff die Ansteckung verhindern könnten (was einige Wochen später ebenfalls Geschichte war): Hübsch gemusterte Baumwoll-Reste wurden zu Designermasken, bei der Änderungsschneiderei hingen sie wie ein Boutique-Angebot auf Bügeln vor der Tür. Die Tageszeitungen berichteten über einen Design-Wettbewerb des DRK, bei dem unter anderem Susann Sommer aus Versmold für ihre Maske mit abknöpfbarem Mundloch ein Fass Bier gewann.
Wann Sie das Fass mit Freunden leeren konnte, ist nicht bekannt. Als der Sommer mit Wärme, Sonne und Außengastronomie so etwas wie eine erste Entspannung brachte, stürzte der Kreis Gütersloh am 17. Juni direkt ins nächste Corona-Loch. 400 Neuinfektionen waren bei Tönnies festgestellt worden, hieß es aus dem Krisenstab. Damit erlebte der Kreis Gütersloh sein ganz persönliches Horror-Szenario, das nicht wenige an den Hollywood-Streifen „Outbreak“ erinnerte. Aufenthaltsverbote für Feriengäste aus dem Kreis in einigen Urlaubsgebieten. Die Stadt Münster wollte auf Gütersloher verzichten. Gütersloher Schüler wurden von Abschluss-Veranstaltungen in Bielefeld ausgeladen und durften ihre Zeugnisse per Post in Empfang nehmen. Medien aus aller Welt gaben sich die Mikrofone in die Hand und ein zweifelhafter Comedian stromerte ziellos auf der Suche nach Interview-Partnern durch die Stadt. Aber das ist wieder eine andere Geschichte aus dieser Zeit, die wir uns bis dahin nur als Science Fiction vorstellen konnten.


