„Wir-Gefühl“ als Silberstreif am Horizont
Stadtjubiläum im Jahr 2000 entfaltet bis heute seine Wirkung
Achtung, Triggerwarnung:
Dieser Artikel enthält ein bisschen Wehmut, etwas Selbstlob und eine Portion „Alles schon mal da gewesen“. Aber es ist, wie es ist: Manche Ereignisse entwickeln ihre volle Bedeutung aus der Rückschau. Das gilt auch für das Stadtjubiläum im Jahr 2000: „Stadt Gütersloh – 175 Jahre jung“.
Fotos: Zentrale Öffentlichkeitsarbeit Stadt Gütersloh/Stadtarchiv
175 Jahre Stadtrechte sollten nicht sang- und klanglos verstreichen. Das war Fakt vor dem Jahr 2000. Das Unternehmen Miele hatte bereits die Erstellung einer wissenschaftlich fundierten Stadtgeschichte unter der Leitung des Gütersloher Historikers Professor Werner Freitag gefördert, der ersten ihrer Art. Ein Herzensanliegen von Firmenchef Rudolf Miele, eine Mammutaufgabe, die mit zwei Doktorandinnenstellen über einen mehrjährigen Zeitraum verbunden war.
Ein Stadtmarketingprozess
Dabei blieb es zunächst. Dann kamen einige glückliche Umstände hinzu: ein Stadtmarketingprozess, der sichtbare Ergebnisse benötigte, eine kleine Truppe neuer städtischer Mitarbeitender, die noch optimistisch genug waren, um planerische Hürden erstmal auszublenden, die Einrichtung einer Stelle für die städtische Wirtschaftsförderung, die Neugestaltung der Innenstadt mit einem nagelneuen „Kolbeplatz“, Isselhorst feierte 950 Jahre, und nicht zuletzt stand die „Jahrtauendwende“ am Horizont. Auch dem sparsamen Gütersloh kitzelte so was wie Aufbruchstimmung in der Nase.
Also gab der Rat Mittel frei für ein Jubiläums-Jahresprogramm, das die städtische Öffentlichkeitsarbeit unter der Leitung von Susanne Zimmermann zusammen mit dem neuen Wirtschaftsförderer Martin Balkausky im Groben konzipiert hatte. Darin enthalten war die ausdrückliche Vorgabe, etwas Bleibendes zu schaffen, der Begriff „Nachhaltigkeit“ war noch jung und in aller Munde.
Trotz dieses Vertrauensvorschusses seitens der Politik hatte die kleine Orga-Truppe „Muffensausen“, als sie zur ersten Bürgerversammlung in Sachen Jubiläum in den kleinen Saal der Stadthalle einlud. Wie würde die Resonanz sein? Sie war riesig. Fortan entwickelte sich eine Dynamik, die über das ganze Jahr und weit darüber hinweg trug.
Die städtischen Mittel waren Motor für einige Veranstaltungsformate, die im Jahr 2000 ihre Premiere hatten: Die Langenachtderkunst begann mit zehn Teilnehmern, heute umfasst sie mehr als 40 Stationen. Auch die „Woche der Kleinen Künste“ hat ihren Ursprung im Jubiläumsjahr 2000. Die städtische Förderung erleichterte im ersten Jahr den Start, Baustein für einen Erfolg, der sich schnell zum kulturellen Top-Event mit Wirkung weit über die Stadt hinaus entwickelte.
Nachhaltige Ergebnisse
Auch der Skulpturenpark im Stadtpark mit markanten Fabelwesen des Künstlers Manfred Billinger gehört zu den „nachhaltigen“ Ergebnissen des Jubiläumsjahres 2000. Die Sparkasse Gütersloh sorgte hier für die „Erstausstattung“. Doch gewachsen ist er in den Folgejahren mit einer für Gütersloh damals eher ungewöhnlichen Konzeptidee: Die Figuren wurden jeweils von Gütersloher Unternehmen „gesponsert“. Der Flöttmann-Verlag legte einen außergewöhnlichen Gütersloh-Bildband mit Fotos von Detlef Güthenke, Texten von Susanne Zimmermann, gestaltet von Eckard Klessmann auf, Vorläufer einer Ausstellung, in der Klessmann und Güthenke die legendäre Headline „Kaff und Kosmos“ kreierten.
Überhaupt: Die lokale Wirtschaft ließ sich vom Sog des Jubiläums anstecken und zeigte Flagge für ihre Stadt. Ein eigens gegründeter Förderverein mit Karin Miele, Bürgermeisterin Maria Unger und dem damaligen Sparkassen-Chef Eckhard Heitlage an der Spitze sammelte Spenden für Projekte, Bertelsmann ermöglichte unter anderem einen spektakulären City Treff mit dem Filmorchester Babelsberg, und beim Gütersloher Sommer machten die Bläck Föss Karneval im Juli.
Neues Logo und Design
Glückliche Parallelität der Ereignisse, die genauso gewollt war: Die Expo 2000, „Weltausstellung“ im gar nicht so weit entfernten Hannover, und ihr Ableger Expo OWL bescherten dem Botanischen Garten die Naturskulptur eines weltbekannten Künstlers: Olafur Eliasson („New York Waterfalls“) kam persönlich nach Gütersloh, um den Aufbau des Gerüsts und die Anlage des ausgefeilten Pflanzkonzepts für seinen „Geruchstunnel“ zu beaufsichtigen und selbst mit Hand anzulegen.
Aber das Jubiläumsjahr war auch der Start für besondere Nischen-Projekte. Beispiel: Das „Forum Lied“ – inzwischen mit festem Platz auf der Studiobühne des Theaters – hat seinen Ursprung im Programm des Jahres 2000. Die Erzählcafés, Zeitzeugen-Gespräche zu lokalen Themen, fanden ebenfalls zum ersten Mal im Jubiläumsjahr 2000 statt.
Erfolgreich erfüllte die Projektgruppe auch die Aufgabe, ein neues Logo und ein modernes Design für die Stadt zu entwickeln. Die Künstlerin und Grafikerin Beate Freier-Bongaertz gewann den dazu ausgeschriebenen Wettbewerb. Die damalige Juryentscheidung bewies Weitblick: Das Farbkonzept – Grün für Natur, Blau für Wirtschaft – ist heute noch Basis für städtische Veröffentlichungen. Und auch das Logo wirkt, leicht verändert, nach wie vor frisch. Doch nicht nur die Optik war neu im Jahr 2000: Das Stadtjubiläum war Anlass für eine komplette Neugestaltung der städtischen Informationsmedien: Stadtprospekte, Stadtfilm, Internet-Auftritt als neues Medium und ein unterhaltsamer Veranstaltungskalender gehörten zum Paket.
Ach, es wäre noch viel zu erzählen über dieses Jubiläums-Jahr 2000, das mit einer legendären Silvesterparty im Festzelt auf dem Berliner Platz, organisiert vom damaligen Stadthallenchef Johann Nusser, begann und mit Festvortrag, Licht, Musik und Laser im November auf dem Alten Kirchplatz endete. Stattdessen soll ein Zitat aus dem Jubiläumskalender mit dem Titel „Turbulent“ sprechen: „Wir-Gefühl wird als Silberstreif am Horizont gesichtet. Ein Indiz: Die Gütersloher zeigen verhaltenen Stolz auf ihre Stadt.“ Das wäre auch 25 Jahre später noch ein schönes Ziel.
Anmerkung: Die Autorin leitete seinerzeit zusammen mit Martin Balkausky die Projektgruppe. Zum Kernteam gehörten damals: Kathrin Groth, Peter Grünheit (+), Dr. Elisabeth Menke und Christine Flaschka.
Foto: Zentrale Öffentlichkeitsarbeit Stadt Gütersloh/Stadtarchiv