Darauf ein Eierlikörchen 

Udo Lindenberg-Kunst in Rietberg

Text und Fotos: Susanne Zimmermann„Keine Panik, is nur Kunst“.  Als wenn wir darüber in helle Aufregung geraten müssten! Nein, Udo Lindenbergs Lieblingsspruch als Titel einer Ausstellung führt uns in eine gechillte Parallelwirklichkeit, in der Untergänge mit der passenden Musik zelebriert werden, in der Cellistinnen und Piano-Lehrerinnen die spannungsgeladene erotische Ausstrahlung von Isabel Huppert haben.

Im Kunsthaus Rietberg – Museum Wilfried Koch sind noch bis zum 26. Oktober 45 Originale und Grafiken des Panikrockers zu sehen – und mit dem nötigen Kleingeld auch käuflich zu erwerben. Grund genug für einen entspannten Ausflug in die Nachbarstadt. „Ottifanten“ war vor zwei Jahren, jetzt sind es „Likörelle“, die dem kompakten Museum in historischem Fachwerk an der Emsstraße 10 in Rietberg ein Besucherplus garantieren. Darin mag man einen roten Faden erkennen, schließlich haben Otto Waalkes und Lindenberg vor Urzeiten mal in einer Künstler-WG in Hamburg zusammengewohnt. Auch die Stimmung, die die Betrachtung der Bilder auslöst, ist vergleichbar:  Schmunzeln, das hier und da in lautes Lachen mündet, amüsiertes Wiedererkennen der Protagonisten in ihrem humorvollen Umgang der Wirklichkeit. Der eine (Waalkes) hat sich Filme und Alte Meister zur Vorlage genommen, der andere (Lindenberg) arbeitet seine Songs und Sehnsüchte im Karrikatur-Stil auf – mit einem Verfahren, das er sich als Namen in seiner Einzigartigkeit hat schützen lassen: „Likörelle“ sind eine Kombination aus Aquarell und der Konsistenz bestimmter Liköre.

Die Legende besagt, dass der Meister einst an einer Hotelbar angefangen hat, Buntes aus dem Likörglas aufs Papier zu bringen: Eierlikör für Gelb, Blue Curaçao für Blau, Kirschlikör für Rot und Pfefferminzlikör für Grün. Auch wenn heute kaum davon auszugehen ist, dass der durchschnittliche Verpoorten oder Eckes-Edelkirsch die lebensfrohe Farbintensität hervorzaubert, die den Lindenbergschen Malereien ihre ganz spezielle Wirkung verleiht –  die Story fügt sich passgenau in Udos Kosmos und eröffnet Möglichkeiten für ein passendes Merchandising: Likörchen für knapp 20 Euro die Flasche mit einer Miniatur als Etikett oder eine Zigarrenbox für knapp 50 Euro, in der sich statt Rauchmittel ebenfalls ein Likör befindet, der vorrangig zum Verzehr und nicht zum Malen geeignet ist – ein erschwingliches Erinnerungsstück für alle Fans, die sich nicht für ein Original zum Preis von etwa 17 000 Euro entscheiden können (Waalkes Originale kosten allerdings etwa das Dreifache).

Dabei sind Lindenberg-Kunstwerke als Kunst-Geldanlage durchaus überdenkenswert. Udo Lindenberg ist nicht nur in der eigenen Generation Kult, in fast sechs Jahrzehnten hat er sich immer wieder neu erfunden, hat nicht nur Bilder, sondern in seinen Songs auch eine Lyrik entwickelt, die Trends überdauert und sich an den Stil der jeweiligen Zeit anpassen lässt. Was nicht nur mit „Komet“ und Apache oder Clueso und „Cello“ zu beweisen war. Zu beidem gibt es die bildlichen Entsprechungen in der Rietberger Ausstellung – mit dem „kleinen Udo“ und der einschüchternd auffälligen Cellistin, deren Körperformen dem Cello um nichts nachstehen.

Ja, der Karrikatur-Stil Lindenbergs ist auch eine Männerphantasie, mit Schutzengeln, die unbekleidet in die Traumwelt des Protagonisten einfliegen, mit Nixen, die mit dem Udo im Strandkorb abhängen oder Go Gos, die auf dem Dach des Atlantic thronen, das er allein durch seine zeitweilige Anwesenheit zum Hotspot erhoben hat. Aber alles ist geradezu kindlich-forsch mit einem grafischen Augenzwinkern aufbereitet, so dass eine Protestaktion vor dem Museum direkt ins Leere führen würde: „Keine Panik, is nur Kunst“, würde Lindenberg wohl einigen kritischen Einträgen im Gästebuch entgegenhalten.

Über Kunst lässt sich bekanntlich sowieso nicht streiten. Tatsache ist, dass Lindenberg über eine solide Technik verfügt, über einen untrügliches Gespür für einen grafisch-wirksamen Bildaufbau, über Ideenreichtum und die Perfektion, zu denen er seine immer wiederkehrenden Bildelemente geformt hat – allen voran den eigenen Udo als Alter Ego mit Borsalino und fetter Brille, der lebensfroh auf besagtem Kometen in die Atmosphäre einreitet, der den Globus umarmt und etwas ratlos (nebst unbekleideter Partnerin) vor dem geigenden „Rudi“ steht.

Fast allen Figuren gemeinsam ist das Likörgläschen in der Rechten – ein Prost auf all den Rock’n’Roll , auf „Honey“ und den Sonderzug nach Pankow, auf die sinkende Andrea Doria und die Coolen Socken. Und dazwischen hängt – eingerahmt von den Holzsparren der Fachwerkwand – eines der vielen Udo-Porträts, die andere erstellt haben. Das Gemälde von Martin Georg Sonnleitner, der sich offensichtlich auf Künstlerporträts spezialisiert hat, zeigt einen Lindenberg mit markanten Zügen kritischem, etwas distanziertem Blick, mit Zigarre, aber ohne Alkohol, denn den verwendet Udo inzwischen nach eigener Aussage offensichtlich nur noch zum Malen.

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Keine Panik, der Rietberg-Trip zu Lindenberg ist kein Museumsbesuch, der Stunden dauert. Es ist ein erfrischender kleiner Rundgang, der noch einmal seine besondere Wirkung im Kontrast zu den mindestens teilweise eher melancholischen Werken Wilfried Kochs entfaltet, dem das Museum gewidmet ist. Auch daraus lässt sich ein Gespräch über Kunst entwickeln. Und das wiederum kann Stunden dauern – zum Beispiel in einer gemütlichen Kneipe der Rietberger Altstadt.

Foto: Susanne Zimmermann

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