„Ich bin mit mir im Reinen“

Zum Abschied nach 26 Jahren Kommunalpolitik: Fragen an Heiner Kollmeyer (CDU)

Konservativ und weltoffen, so sieht sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Heiner Kollmeyer selbst. Mit gt!nfo sprach der erfolgreiche Lokalpolitiker, der in Debatten stets klares Profil zeigte, über seine Erfahrungen in der Ratsarbeit. Dabei macht er auch den jüngeren Generationen Mut zum Engagement.

Herr Kollmeyer, nach jetzt 26 Jahren Kommunalpolitik mit vielen Führungsaufgaben: War da mehr Freude oder mehr Arbeitslast?
So trennscharf kann ich die Frage nicht beantworten. Natürlich gibt es immer beide Seiten, aber es liegt ja auch daran, ob man seinen Job verwaltet oder ob man innerlich die besondere Position wirklich annimmt. Das habe ich getan. Dass mir die Fraktion immer das Vertrauen geschenkt hat, empfinde ich als ein großes Glück, und ich bin auch dankbar für viele Beispiele guter Zusam- menarbeit mit der Verwaltung und mit den anderen Fraktionen. Was die Arbeitsbelastung betrifft: Man muss schon gut organisiert sein. Das war oft ein Halbtagsjob, zum Beispiel bei den Haushaltsberatungen und bei Großprojekten, die viel Abstimmung erfordern. Als Landwirt konnte ich meinen Arbeitseinsatz immer sehr flexibel handhaben. Das hat mir sehr geholfen. Auch die Familie hat mich immer unterstützt.

Sie haben immer klare Positionen bezogen und scheuten auch nicht die direkte, harte Auseinandersetzung. Wie sehen Sie sich in der Rückschau? Und wie gehen Sie mit Kritik selbst um?
Das stimmt, was Sie sagen, andererseits bin ich mir sicher: Ich war immer fair und verlässlich bei Absprachen. Ich bin da mit mir im Reinen. Es kann sein, dass mir Kritik an meiner Arbeit manchmal schwerfällt, aber das gehört dazu – und ich kann damiumgehen. Dagegen steht ja auch die Freude, wenn man Dank erfährt, wenn man Erfolg hat, einer Aufgabe gerecht wird. Es ist generell befriedigend, wenn man etwas gestalten kann. Und ganz offen: Es ist ein gutes Gefühl, wenn man ein Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger ist.

Sie wurden 1999 erstmalig für die CDU in den Rat gewählt. Wie hat sich seitdem die Debattenkultur in Ihren Augen geändert?
Es ist schon etwas unruhiger geworden im Rat. Neulich kritisierte eine Ratsfrau einer anderen Fraktion die vielen Zwischenrufe und demonstratives Weghören. Da hatte sie nicht ganz unrecht. Als ich 1999 anfing, ließ eigentlich jede Fraktion im Rat und in den Fachausschüssen immer nur ihren Sprecher auftreten. Heute schließen sich die anderen Fraktionsmitglieder gerne noch an, da sitzt man dann noch bis 22 Uhr in den Ausschüssen. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Sitzungen gestreamt werden. Auf jeden Fall ist es familienunfreundlich.

Da bleibt dann keine Zeit mehr für ein Bierchen danach mit dem politischen Konkurrenten.
Ja, das findet heute nicht mehr statt. Manche haben auch Anschlusstermine und gehen schon eher, wenn sie es sich bei feststehenden Mehrheiten leisten können. Es ist etwas ernster geworden in der Politik. In dieser schnelllebigen Zeit ist alles durchgetaktet, kaum einer hat mal Zeit für ein spontanes Gespräch.

Unabhängig von der Parteizugehörigkeit: Wer waren und sind für Sie die herausragenden Lokalpolitiker in Gütersloh, Verwaltungsvertreter miteinbezogen?
Ich beantworte die Frage ungerne, bitte ersparen Sie mir die Nennung von Namen, es kann verletzend sein, wenn ich jemanden vergessen sollte. Was ich sagen kann: In allen Fraktionen hatten wir immer viele herausragende und verdienstvolle Politikerinnen und Politiker, denen mein uneingeschränkter Respekt galt. Das gilt ebenso für Persönlichkeiten in der Verwaltung.

Gibt es Freundschaften über die Fraktionsgrenzen hinweg?
Was ist Freundschaft? Im engeren Sinn hat man die mit Politikern aus anderen Fraktionen wohl nicht. Die hat man ohnehin nur selten. Aber natürlich gibt es immer wieder viele nette, gute, auch mal vertrauliche Gespräche untereinander.

Welche politischen Entscheidungen oder Festlegungen würden Sie mit heutiger Erfahrung differenzierter treffen?
Spontan würde ich sagen: Der Porta-Parkplatz war zu groß geworden, aber da passiert ja jetzt auch etwas. Vielleicht hätte man schon früher mehr Fahrradwege anlegen müssen und die Freiwillige Feuerwehr beim Umzug der Berufsfeuer mitnehmen können auf den Marktplatz. Wir hätten auch mutiger sein müssen bei der Entwicklung von Gewerbeflächen. Warum nicht in die Höhe bauen, wenn Flächen fehlen und wir so beispielsweise Nüssing und Ehlert verloren haben? Jetzt sind wir auf Interkommunale Gewerbeflächen angewiesen. Es wäre wohl auch besser gewesen, bei der Verwaltung deutlicher auf die Personalbremse zu drücken. Wir hatten 2010 die Personalkosten auf 55 Millionen Euro eingefroren. Heute stehen wir bei 110 Millionen.

Haben Sie nicht selbst unter Bürgermeister Henning Schulz einen deutlichen Schluck aus der Personal-Pulle genommen, wovon Maria Unger jahrelang nur träumen konnte?
Einmal vergaben wir 60 neue Stellen, das stimmt schon. Bei Maria Unger war es anders, ja.

Auf welches Projekt sind Sie als Lokalpolitiker heute noch stolz?
Mit Stolz verbinde ich eigentlich, mit Hermann Korfmacher und Hans-Hermann Kirschner die Rettungsiniti ative des FC Gütersloh gegründet zu haben, nachdem der Verein Anfang 2017 den Insolvenzantrag gestellt hatte. Weil die Rettungsinitiative ja auch wichtig war für die Stadt. Der FCG stand damals am Abgrund.

Was raten Sie jungen Menschen, die sich politisch, wo auch immer, betätigen wollen? Gibt es eine wichtigste Erfahrung, die Sie weitergeben möchten?
Ruhig und gelassen bleiben. Gerne auch mal in den Forderungen überziehen, aber nicht zu viel zu erwarten. Wissen, dass man es nicht allen Leuten recht machen kann. Und nehmt die Sorgen und Bedenken der Menschen immer ernst – wenn ihnen beispielsweise durch eine geplante Bebauung eine freie Sicht genommen wird.

Können Sie sich noch in die Gedankenwelt junger Menschen hineinfinden?
Das sollte man als Politiker können, ist mir aber sicher nicht immer gelungen. In meinem Alter darf man dann auch mal zurücktreten und den Stab übergeben. Ich freue mich daher, dass wir viele neue junge Menschen bei uns haben.

Politik ist ein zähes Geschäft, und die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam: Was sagen Sie den jungen Menschen, die genau das kritisieren?
So ist die Realität. Aber sie haben auch große Gestaltungsmöglichkeiten, und sie sollten sie nutzen. Da hilft auch das Selbstverständnis, ein Puffer zwischen Bürgern und Verwaltung zu sein.

Es gibt die Kritik an einer überbordenden, bürgerfernen Bürokratie, die die Entwicklung unserer Stadt massiv erschwert. Wenn alle Fraktionen und auch die Verwaltung an einem Strang ziehen, sorgfältig mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umgehen und gleichzeitig Bund und Länder die Städte und Gemeinden mit auskömmlichen Mitteln – ich nenne hier mal die Themen Migration und Sozialtransfers – ausstatten, dann erledigen wir unsere Aufgaben. Wir müssen einander mehr vertrauen und alles tun, um wirklich bürgernah zu arbeiten. Bürokratie kann wirklich lähmend sein. Ich bin übrigens grundsätzlich optimistisch, dass wir nach einer Wiederbelebung der Wirtschaft, die irgendwann kommen wird, unsere Einnahmen und damit unsere Gestaltungskraft erhöhen können. Man darf ruhig ein bisschen optimistischer sein, Gütersloh wird manchmal zu kritisch gesehen.

Gibt es eine politische Idee, die Sie gerne noch auf den Weg gebracht hätten?
Wenn Sie so fragen: Die habe ich nicht. Die Wahrheit ist: Wir sind alle so sehr mit dem Alltagsgeschäft beschäftigt, dass perspektivische Pläne kaum auf den Tisch kommen. Unsere Themen sind die aktuellen: Das Bürgerhaus Blankenhagen sucht noch einen Träger, die Fahrradwege sind marode, die Zukunft der Karstadtimmobilie ist ungelöst, das Nordbad brennt lichterloh und so weiter. Ich hätte allerdings gerne noch an der Haushaltskonsolidierung weiter mitgearbeitet.

Sie erwähnten die Fahrradwege – ist das in Gütersloh nicht alles ein bisschen piefig? Von einem geschlossenen Radwegenetz kann ja nicht die Rede sein, oder?
Ja, das stimmt. Ich bin intensiver Radfahrer und sehe die Probleme. Aber ich meine auch, dass Autos in der Innenstadt ihre Berechtigung haben. Meine Formel wäre: Zu den großen Gestaltungsaufgaben der Zukunft gehört, dass Fahrrad- und Autofahrer sicher und friedlich miteinander koexistieren.

Worauf freuen Sie sich am meisten nach Ihrem Abschied aus den vorderen Reihen der Lokalpolitik? Stapeln sich bei Ihnen bisher ungelesene Bücher?
Ich freue mich darauf, meine Zeit neu gestalten zu können. Wenn ich ehrlich bin: Ich lese null Bücher, schaffe es einfach nicht, nach 30 Seiten ist immer Schluss. So war es jedenfalls bisher. Mein Lesestoff sieht so aus: Lokalpresse, Rats- und Ausschussvorlagen, hin und wieder überregionale Zeitungen, top agrar, Landwirtschaftliches Wochenblatt und politische Fachinformationen. Dann bin ich durch mit Lesen.

Wie konservativ ist Heiner Kollmeyer wirklich? Und wie zukunftsgewandt?
Ich bin nicht so erzkonservativ und festgelegt. CDU: rechts, SPD: links, mit den entsprechenden Abgrenzungen: Das ist nicht mehr zeitgemäß. Leitmotivisch ist mir die CDU allerdings in die Wege gelegt, für mich sind der Respekt vor Familie und Eigentum wichtige Werte. Mittlerweile wählen aber auch Landwirte nur noch zu 50 Prozent die CDU. Es geht heute um eine Politik der Mitte. Ich war und bin ein moderner Landwirt. Weltoffen und bodenständig. Bin durch die Politik in das gesellschaftliche Leben reingekommen. Ich weiß, man muss nicht bei jeder Neuigkeit vorne mit dabei sein. Abwarten ist oft klüger. Und ich weiß im Übrigen, dass die anderen auch nicht doof sind.

Foto: Heiner Wichelmann

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