Eng verknüpft mit Stadt und Religion

Anlässlich des Stadtjubiläums „200 Jahre Gütersloh“ widmet sich der mehrfach preisgekrönte Autor Joachim Zelter mit der Tragikomödie „Der Posaunengeneral – Eine Auferstehung“ nach Johann Heinrich Volkening in „Der Prediger“ (2019) zum zweiten Mal einer ebenso ambivalenten wie prägenden Figur der Regionalgeschichte, dem Posaunengeneral Johannes Kuhlo. Markus Corsmeyer sprach mit Joachim Zelter sowie dem Künstlerischen Leiter des Theaters und Regisseur Christian Schäfer über das Stück.

Herr Zelter, Herr Schäfer. Wie kam es zu diesem gemeinsamen Projekt?
Joachim Zelter: Christian Schäfer hat mich auf die Figur des Johannes Kuhlo aufmerksam gemacht und mich ge- fragt, ob ich über ihn möglicherweise ein Theaterstück verfassen könnte? Anfänglich war ich zögerlich gewesen, nicht nur wegen der politischen Haltungen und Verstrickungen Kuhlos, sondern auch weil ich mit dem Genre der Posaunenmusik nicht allzu viel anzufangen wusste. Es war die maximale künstlerische Freiheit, die mir Christian Schäfer (nicht nur bei diesem Stück) in dem Umgang mit dem Stoff gewährt hatte, die mich nach und nach für das Projekt eingenommen hat.

Herr Schäfer, als künstlerischer Leiter des Theaters Gütersloh: Was bedeutet Ihnen persönlich diese Produktion im Rahmen des Stadtjubiläums?
Christian Schäfer: Mit dem „Posaunengeneral“ können Joachim und ich im Zuge des Stadtjubiläums das fortsetzen, was wir 2019 mit dem Stück „Der Prediger“ zu Johann Heinrich Volkening begonnen haben: die intensive Auseinandersetzung mit einer ebenso umstrittenen wie prägenden Figur aus der pietistischen Vergangenheit von Stadt und Region.

Der mehrfach ausgezeichnete Autor Joachim Zelter. Foto: Steffen Sixt

Ihr Stück beschäftigt sich mit einer ambivalenten historischen Figur – Johannes Kuhlo. Was hat Sie an seiner Geschichte besonders fasziniert und motiviert, daraus ein Theaterstück zu machen?
Joachim Zelter: Johannes Kuhlo ist für mich der Prototyp dessen, was Heinrich Mann in seinem Roman so treffend beschrieben hat: ein leidenschaftlicher „Untertan“. Er steht also sinnbildlich für eine ganze Epoche – oder gleich für mehrere Epochen: vom Kaiserreich, über den Ersten Weltkrieg bis hin zum Nationalsozialismus. Beim Schreiben des Stückes fragte ich mich: Wie ein Mensch wie er heute wohl agieren würde? Musikalisch, politisch und menschlich? Und umgekehrt: Wie wir heute wohl auf ihn reagieren würden? Was wir ihm alles (kraft unseres Wissens) sagen würden? Deshalb spielt das Stück auch überwiegend in der Jetzt-Zeit. Um sein Leben, sein Wirken, sein Tun nicht unwidersprochen irgendwo in der Vergangenheit stehen zu lassen. Aus diesem Kunstgriff ergeben sich nun eine Vielzahl an Anachronismen, Kontrasten und Spannungen – aber auch an dramatischen Potentialen und politischen Diskursmöglichkeiten. Bis hin zu der Frage: Wie wir selbst wohl in Kuhlos Zeit agiert hätten? Und noch wichtiger: Wie wir angesichts der Kräfte und Mächte unserer heutigen Zeit eigentlich agieren?

Wie haben Sie die Herausforderung angenommen, eine so komplexe Persönlichkeit und die historischen Widersprüche auf der Bühne darzustellen?
Christian Schäfer: Indem ich mit Jacques Malan als Kuhlo-Wiedergänger und – ebenso wichtig – mit Christiane Hagedorn als Kuhlos Widerpart Elsa zwei herausragende Darsteller gewinnen konnte, die diese Widersprüche beeindruckend zum Ausdruck bringen.

Das Stück verbindet historische Fakten mit einer tragikomischen Erzählweise. Wie gelingt es Ihnen, diese Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor zu halten?
Christian Schäfer: Das schafft Joachim regelmäßig mit seiner großen Könnerschaft als Autor. In diesem Fall eben auch durch die Verknüpfung von Originaltexten und Erdachtem. Wobei man bei mancher kuriosen Eigenart Kuhlos wohl sagen muss: Kann man sich nicht ausdenken! Komik wie Tragik entstehen natürlich allein schon, wenn eine gestrige Figur wie er im Heute erwacht und damit ähnlich schwer umgehen kann, wie mit Pastorin Elsa, mit der er das Krankenhaus-Zimmer teilen muss …

Wie wichtig ist es Ihnen, die Geschichte von Kuhlo differenziert darzustellen, und welche Botschaft möchten Sie dem Publikum mitgeben?
Joachim Zelter: Ein differenziertes Bild von Johannes Kuhlo ist nicht ganz leicht. Natürlich ist da die musikalische Leistung, die sein Leben ausmacht, seine Begeisterung für die Musik und seine Fähigkeit, auch andere dafür zu begeistern, aber hier liegt auch schon der Schatten seines rastlosen Wirkens: den antidemokratischen, den autoritären, den zerstörerischen Kräften seiner Zeit vor lauter Begeisterung so oft seine Stimme und seine Musik verliehen zu haben. Was man vielleicht aus dieser Geschichte mitnehmen kann: Dass Entgeisterung manchmal mehr Not tut als hingebungsvolle Begeisterung. Und: Jeder Mensch ist und bleibt am Ende – trotz aller Schattenseiten – immer ein Mensch.

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Herr Schäfer, welche Bedeutung hat das Theater für die Stadtgesellschaft – und wie trägt diese Produktion dazu bei? Wie sehen Sie die Rolle des Theaters in der Vermittlung von Stadtgeschichte und gesellschaftlichen Debatten?
Christian Schäfer: Es gehört zu unserer Philosophie, dass wir uns insbesondere in unseren Eigenproduktionen mit der Geschichte von Stadt auseinandersetzen. Wir suchen und finden spannende Akteure und Geschichten aus der Historie und verwandeln sie mittels der Phantasie der von uns beauftragten Autorinnen und Autoren zu heutigen Theatererlebnissen. Manche Debatten-Zusammenhänge liegen hierbei auf der Hand – im Falle von Kuhlo zum Beispiel das Thema Straßenumbenennung. Manche passieren auch zufällig. Wir konnten zum Beispiel nicht ahnen, dass wir bei unserem Dreh am Sprungturm im Nordbad, plötzlich hochpolitisches Gefilde bespielen. Das Theater ist als Ort der Begegnung natürlich ein idealer Diskurs-Ort, für alle Themen, die eine Stadtgesellschaft so umtreibt.

Regisseur Christian Schäfer. Foto: Kai Uwe Oesterhelweg

Wie wichtig ist Ihnen die Einbindung lokaler Akteure für die Authentizität und Wirkung des Stücks?
Christian Schäfer: Wenn es das jeweilige Stück hergibt, haben wir großen Spaß daran! In diesem Fall hatte Joachim nebst den zwei Protagonisten einen dritten Schauspieler im Kopf, der etwa ein Dutzend kleine Rollen spielen sollte. Diese Rollen haben ich aber jetzt jeweils einzeln mit lokalen Akteuren – live oder per Filmeinspielungen – besetzt. Besonders freut mich, dass die beiden von Kuhlo gegründeten Ensembles, der Gymnasial-Posaunenchor des ESG und die Posaunenmission Bethel, mit an Bord sind. Dass Stefan Salzmann zum Beispiel einen Pfarrer spielt, der im Stück nicht zuletzt mit einer ziemlich fragwürdigen Predigt in Erscheinung tritt, ist ebenso amüsant wie überhaupt nicht selbstverständlich. Dieses Stück ist wirklich eng verknüpft mit Stadt und Region!

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