„Man will ja der Gesellschaft etwas zurückgeben“

Zehn Jahre nach dem Rathaus-Abschied: Maria Unger im gt!nfo-Gespräch

In diesen Tagen konnte Altbürgermeisterin Maria Unger auf genau zehn Jahre Ruhestand nach ihrem Abschied aus dem Rathaus im Oktober 2015 zurückblicken. Wie geht es ihr heute? gt!nfo besuchte sie zu Hause und erlebte eine Frau, die noch mitten im Geschehen ist – voller Aufgaben, Projekte und Termine. Ein Gespräch über Erlebtes, heutige Aktivitäten und Wünsche für die Zukunft.

Wo sind die zehn Jahre geblieben, denke ich bei der Begrüßung. Maria Unger, Güterslohs einzige Bürgermeisterin, fünf Jahre ehrenamtlich und danach 16 Jahre in hauptamtlicher Verantwortung, wirkt lebendig und zugewandt wie eh und je und hat mit ihrer Unverwechselbarkeit etwas Ikonisches: die pechschwarzen Haare, die rote Bluse, die farblich passende Brille und das freundlich-interessierte Gesicht lassen sie fast alterslos erscheinen. Sie ist gerade 73 geworden und hat noch lange nicht fertig. Wir kennen uns schon ewig, duzen uns nicht nur, weil wir beide Sozialdemokraten sind, sondern eben auch Gütersloher, und die haben ihre Bürgermeisterin oft geduzt.

Du bist im Oktober 2015 aus eigenem Entschluss aus dem Bürgermeisteramt ausgeschieden – wie geht es dir heute, zehn Jahre danach?

Maria Unger: Danke, mir geht es gut! Ich genieße meine Zeit zu Hause mit meinem Mann Manfred und ich genieße den Kontakt zu meinen Kindern und Enkelkindern. Ich hatte das ja viele Jahre nur eingeschränkt, war wenig hier im Haus, was ich dann doch sehr vermisst hatte. Ich hole da immer noch was nach und habe mich längst an mein Leben nach dem Amt als Bürgermeisterin gewöhnt. Zurückgezogen habe ich mich allerdings nicht, dafür gibt es einfach zu viele Anfragen, Einladungen und Projekte, die mir angetragen werden und die ich nach wie vor gerne im Ehrenamt annehme. Also von 100 auf null – das konnte ich nach meinem Abschied nicht und das bin ich auch nicht. Ich bin glücklich so, wie es läuft. Und Ehrenamt ist etwas, was mich immer schon fasziniert hat.

Ehrenamtliche Arbeit hat in Gütersloh auf jeden Fall einen hohen Stellenwert.

Ja, ich habe sehr viele Menschen im Ehrenamt kennengelernt und ihre Arbeit hochgeschätzt. Das Schöne ist, dass ehrenamtliche Arbeit ja auch Freude macht. Man will ja der Gesellschaft etwas zurückgeben können. Wenn ich weiter für Gütersloh und Umgebung unterwegs sein kann, gibt mir das selber auch ganz viel.

Du kommst vor allem mit Menschen in Kontakt. Das ist ja das Bild, das man von dir kennt: im Gespräch mit Bürgern. Zuhörend und interessiert. Das ist bei dir immer noch so?

Ja, so bin ich. Mich interessieren die Menschen, egal vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund, und ich mag es, wenn ich irgendwo helfen kann. Aber das ist ja eigentlich eine ganz natürliche Einstellung.

Tatsächlich hatte Maria Unger in ihrem Amt eine besondere Gabe, Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger zu sein. Bekannt ist das Bonmot, das sie wohl treffend charakterisierte: „Maria Unger ist die kürzest mögliche Distanz zwischen Bürgerschaft und der Stadtspitze.“ Mit dem Effekt, dass diese Erfahrung die Stadt nicht kleiner gemacht, sondern viel mehr das Vertrauen der Gütersloher in die Stadt gestärkt hat. Vielleicht die größte Leistung der Frau aus dem kleinen 1.200-Seelen-Dorf Dudeldorf in der Eifel, die es irgendwann nach Gütersloh verschlagen hatte.

Was waren die eigentlichen Gründe, warum du 2015 nicht mehr für das Bürgermeisteramt kandidiert hast? Warst du müde geworden von dem Stress der 70- bis 80-Stunden-Wochen, bist du vielleicht auch gefragt worden nach den insgesamt 21 Jahren im Rathaus, wie lange du es noch machen wolltest, gab es da einen Druck von außen?

Also müde war ich überhaupt nicht! Die Entscheidung hatte ich schon 2013 getroffen. Die SPD hatte mich gefragt, ob ich weitermachen wolle oder nicht und ich habe das Gefühl gehabt, dass ich wieder mehr Zeit für mich, für meine Familie und meine Freunde brauchte. Ich wollte auch Jüngeren Platz machen. Ich merkte, dass es da Ambitionen gab. Es war einfach Zeit, aufzuhören.

Wenn du zurückblickst auf die erste Wahl 1994 zur ehrenamtlichen Bürgermeisterin –Verwaltungschef war damals noch Stadtdirektor Dr. Gerd Wixforth –, woran erinnerst du dich heute besonders gern?

An die Lehrjahre bei Dr. Wixforth, der mich immer über alles informierte und mir sehr viel Unterstützung gab. Das werde ich nie vergessen. Und dass ich in den fünf Jahren im Ehrenamt relativ selbstständig meine wöchentliche Bürgersprechstunde, die ich im Wahlkampf den Wählerinnen und Wählern versprochen hatte, durchführen konnte. Ich habe da viel in die Verwaltung hineingefragt und recherchiert und lernte so die Verwaltungsarbeit bereits gut kennen. Auch die Repräsentationen haben mir geholfen, dass ich in der Bevölkerung bekannt wurde.

Worauf führst du deinen damaligen Wahlerfolg zurück? Welchen politischen Hintergrund hatte das?

Die Wahl war ja von der SPD und den Grünen gewonnen worden und der Grund dafür war klar unser Kampf gegen eine Müllverbrennungsanlage auf Gütersloher Boden. Das war es, nicht meine Person. Und wir hatten auch darüber hinaus ein überzeugendes Programm: zum Beispiel das Thema um die zivile Mitbenutzung des Flughafens oder Themen wie die kostendeckende Einspeisevergütung bei Photovoltaikanlagen, die Gründung des Seniorenbeirats und auch des Gestaltungsbeirates fallen mir da gerade noch ein.

Fünf Jahre später, am 12. September 1999 wurdest du erstmalig zur hauptamtlichen Bürgermeisterin gewählt. Wie war das damals für dich?

Ich habe mich natürlich erst einmal sehr über den Wahlsieg im 1. Wahlgang gefreut, hatte aber gleichzeitig großen Respekt vor der herausfordernden Aufgabe. Noch am Wahlabend bin ich ins Kreishaus gefahren und musste erleben, dass meine Parteifreundin Ursula Bolte als Landrätin nicht wiedergewählt wurde. Ich war sehr enttäuscht, dass sie es nicht geschafft hat. Meine Emotionen spielten dann mit mir Achterbahn. An dem Abend hätte ich am liebsten mein Amt Ursula gegeben, was natürlich nicht ging. Das ist eben Demokratie.

Was gab dir die Kraft, plötzlich die Aufgaben einer hauptamtlichen Bürgermeisterin und damit Verwaltungschefin erfüllen zu können?

Auch wenn es pathetisch klingt: das war die gespürte Zustimmung in der Bevölkerung. Außerdem hatte ich ja die Lehrjahre bei Dr. Wixforth gehabt und es gab zuverlässige Beratung und Unterstützung zum Beispiel durch den 1. Beigeordneten Dr. Klaus Wigginghaus und auch von Sekretärin Christel Haas, deren Arbeit ich schon als ehrenamtliche Bürgermeisterin schätzte. Leider verstarb sie kurze Zeit später im Jahr 2000. Das war ein Einschnitt für mich. Ich habe dann ganz schnell den neuen Fachbereich Büro des Rates und der Bürgermeisterin gegründet, um neben Hauptamt und Personalamt eine Stelle zu haben, die zentral für Wahlen, Ratsangelegenheiten und das Bürgermeisterin-Amt zuständig war.

Du gewannst auch die nächste Direktwahl zur Bürgermeisterin 2004 und dann die letzte Wahl 2009, damals im Zeichen der kontroversen Diskussionen um den Neubau eines Theaters.

Mir war zum Zeitpunkt, als wir uns entschieden hatten, das Theater neu zu bauen, sehr wohl bewusst, dass das nicht Mainstream war in Gütersloh und wir hatten ja auch den Bürgerentscheid 2003 mit einem niederschmetternden Ergebnis verloren. Das hätte mich vielleicht auch die Wahl kosten können. Aber ich stand dafür, ich wollte, dass auch die kommenden Generationen lernen sollten, auf der Bühne zu stehen. Das ist uns gelungen.

Wie war deine Beziehung zur eigenen Partei, der SPD?

Gut und kollegial. Für mich war klar, ich bin als direkt gewählte Bürgermeisterin für die Verwaltung und für alle Bürger und Bürgerinnen zuständig. Alle wichtigen Projekte und Themen der Stadtgesellschaft wurden im Verwaltungsvorstand besprochen, manchmal auch sehr intensiv diskutiert, aber am Ende gab es eine gemeinsame Entscheidung, die wir dann – wenn es unter anderem um eine Ratsentscheidung ging – dem Rat zur Diskussion und Abstimmung vorgelegt haben. Mein sozialdemokratisches Herz war für mich vielfach eine gute Richtschnur bei meinen Entscheidungen.

Gibt es Wunden, die aus der Zeit als Bürgermeisterin geblieben sind? Im Rat herrschte ja oft auch ein rauer Ton.

Nein, Wunden sind überhaupt nicht geblieben. Wenn ich mal am Boden zerstört war, vielleicht nach einer Ratssitzung, bin ich am nächsten Morgen wieder guten Mutes ins Rathaus gekommen. Natürlich hat mich die Opposition gefordert, und es ging manchmal hart zur Sache, aber man konnte auch immer vertrauensvoll etwas abstimmen. Ich habe da keine schlechten Gefühle im Nachhinein, eher im Gegenteil.

Dass Maria Unger Standing zeigen konnte, mag auch an ihrer Haltung als praktizierende Katholikin liegen. Sie, die in ihrem Heimatdorf die christlichen Werte lernte, die sie heute noch tragen, wie sie erzählt, fühlt sich „vom Dorf erzogen“ und glaubt auch an einen Schutzengel –„dass es da oben jemand gibt, der aufpasst“. Es ist wohl auch dieser feste Glaube, der ihr die Kraft gegeben hat, ohne universitäre Ausbildung und ohne Leadership-Erfahrung eine Verwaltung mit über 1.350 Mitarbeitern zu führen. Sie sagt: „Meine Kindheit hat mir das Rüstzeug gegeben.“

Erinnerst du dich noch an den Tag nach dem Abschied aus dem Rathaus? War da Erleichterung oder auch ein wenig Leere?

Zunächst war es so, dass meine Kinder entschieden hatten: „Mama muss sofort in den Urlaub fahren!“ Damit ich nicht auf die Idee komme, wieder ins Rathaus zu gehen, sagten sie. Wir waren dann alle zusammen auf Rügen. Wieder zurück in Gütersloh, nahm ich zusammen mit meinem Kollegen Markus Kremer, Leiter des BM-Büros, am Ahlener Wintercitylauf teil, das war am 11. Dezember. Da bin ich bei Kilometer 7 gestürzt. Ergebnis: Oberarm-Trümmerbruch und dazu die Schulter gebrochen. Ich musste für neun Tage ins Klinikum, was mich ausgeknockt hat. Danach kam dann die Phase, erst mal anzukommen zu Hause.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe 2016 einen Förderverein für das Klinikum gegründet, um Fördergelder zu sammeln für die Dinge, die nicht über das Krankenhausbudget zu finanzieren sind. Bis heute haben wir 250.000 Euro sammeln und gezielt für Projekte einsetzen können. Das war die erste Aktivität, später kamen die Anfragen auf Schirmherrschaft von der Parkinson-Selbsthilfegruppe und vom Verein Jede Oma zählt, denen ich gerne gefolgt bin. Ich wurde stellvertretende Kuratoriumsvorsitzende bei der Bürgerstiftung Gütersloh, dann in gleicher Funktion auch beim Verein der Förderer der Universität Bielefeld und ich engagiere mich im Vorstand der Gütersloher Charity-Organisation Inner Wheel. Dazu kommen dann noch Mitgliedschaften in mehreren Vereinen. Das beschäftigt mich zusammen natürlich über die Woche, das ist sozusagen ein Halbtagsjob. Aber einer, der viel Spaß macht und mich ausfüllt.

Womit beschäftigst du dich gerade aktuell? Ein Beispiel vielleicht?

Ich organisiere im Auftrag des Kuratoriums der Uni Bielefeld eine Veranstaltung zum Thema Demokratie mit Frau Prof. Dr. Christina Morina. Sie ist Historikerin an der Uni Bielefeld und Sachbuchpreisträgerin 2024. Die Veranstaltung, die ich moderieren werde, wird im Februar 2026 in unserer Gütersloher Stadtbibliothek stattfinden. Dazu lese ich gerade ihr Buch „Tausend Aufbrüche – Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren“. Kann ich nur empfehlen.

Gibt es etwas, was du dir noch für die Zukunft vorgenommen hast?

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Mein Plan ist eigentlich nur, gesund zu leben, weiterhin sportlich aktiv und für die Familie da zu sein. „Frau“ wird ja gebraucht – von der Familie und ein bisschen auch von Gütersloh. Sehr am Herzen liegt mir weiterhin der Förderkreis des Klinikums und unsere Bürgerstiftung. Ansonsten wünsche ich mir, dass ich mental und körperlich weiter positiv bleiben kann. Und ich bin auch, wie erwähnt, gerne zu Hause. Auch hier gibt es ja immer etwas in Haus und Garten zu tun.

Foto: Heiner Wichelmann

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