Traditionell frühaufstehend und singend

Tanja Kathöfer ist verheiratet, hat zwei erwachsene Söhne – und sie ist keine Unbekannte in der Stadt, aus Gründen: Sie war die letzte Konditorin in einer 160-jährigen familiären Café-Geschichte. Und ein Leben lang schon ist die Martin-Luther-Kirche ihr Dreh- und Angelpunkt und Lieblingsplatz zugleich. Thorsten Wagner-Conert ist mit ihr hineingegangen.

Tanja Kathöfer ist eine der weniger werdenden Kirchenaktiven: Hier in der Martin-Luther-Kirche ging sie in den Kindergottesdienst. Sie wurde hier konfirmiert. Und sie ist über 30 Jahre lang mit ihren Eltern in die Uchte gegangen, den beinahe unchristlich frühen Weihnachtsgottesdienst am Morgen des ersten Weihnachtstages in der Martin-Luther-Kirche. Seit dem Tod der Eltern setzt sie diese Tradition meist allein fort.

Gelegentlich agiert sie als Küsterin nebenan in der Apostelkirche. Sie kümmert sich um die Gemeindebriefe. Und dann ist da noch die Sache mit dem Adventssingen – eine Herzensangelegenheit:

Man muss vielleicht ein wenig verrückt sein. Oder man hat eine Leidenschaft für eine der wenigen Gütersloher Traditionen entdeckt. Bei Tanja Kathöfer ist es wohl das Traditionelle: Sie steht im Advent bereitwillig sonntags um vier Uhr morgens auf:

„Genau, und dann treffen wir uns um fünf Uhr im Haus der Begegnung. Jeder ist herzlich eingeladen“, sagt sie und guckt ihr Gegenüber auffordernd an. „Wir gehen los um halb 6, trennen uns dann in zwei Gruppen, eine Gruppe geht hier durch die Innenstadt, die andere Gruppe geht durch die Innenstadt und durch einen Teil des Stadtparks.“ Das sei sehr schön – und die Sänger hoffen, dass sie den Leuten damit auch eine Freude machen. „Das Adventssingen ist in der hektischen Weihnachtszeit etwas Besinnliches.“

Fürs Adventssingen muss niemand die hohe Schule des Gesangs beherrschen. Die Freude am Tun reicht vollkommen aus. Tanja Kathöfer erzählt vom harten Kern: „Wir sind meist um die 20 Leute, mal mehr, mal weniger – und die splitten sich dann eben in die zwei Gruppen.“

Die Lieder seien festgelegt, seit Jahrzehnten: Am ersten Advent gibt es: „Wie soll ich dich empfangen“, am zweiten Advent „Macht hoch die Tür“. Am dritten ist es etwas weniger gängig mit „Mit Ernst, o Menschenkinder“. Den Abschluss macht am vierten Advent „Dein König kommt, o Zion“, das nicht zu verwechseln sei mit „Tochter Zion“.

Schon immer habe sie sich der Kirche verbunden gefühlt. Gerne leistet sie Dienste – und außerdem habe es zwei Pfarrer in der Familie ihrer Mutter gegeben. „Vielleicht hat das geprägt“, sagt sie.

Im wirklichen Beruf war Tanja Kathöfer lange selbstständig, hatte das Stadt-Café in der Hohenzollernstraße von ihren Eltern übernommen. Aus gesundheitlichen Gründen musste sie den Stecker des über 160 Jahre alten Betriebes ziehen, und es fiel ihr schwer. Noch heute vermisst sie ihre Kunden, aber auch das kreative Arbeiten an besonderen Torten und Gebäck.

Wenn sie heute durch das, was vom Café übrigblieb, geht, wird sie immer noch etwas wehmütig. „Ich hab‘ total gerne mit Schokolade gearbeitet und sie auch gegessen, Figuren gemacht, gern die Herausforderung angenommen, Individuelles, nicht Alltägliches herzustellen.“  Viele hatten gesagt, sie solle doch weitermachen – was die Entscheidung nicht leichter gemacht hat, aber sie musste nun einmal sein.

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Die Tradition mit der Kirche hält sie aufrecht: In der Kirche ist ihr Lieblingsplatz die Empore mit der Orgel – da stecke die Erinnerung, da wurden früher immer die Kindergottesdienste abgehalten.

Auch wenn der Bestand an kirchlichen Schafen immer weniger wird, mit Tanja Kathöfer wird die evangelische Kirche weiter rechnen müssen: „Ich habe ja den Glauben in mir.“

Thorsten Wagner-Conert

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