Ein schwereloser Held

Ein Gespräch mit Schauspieler Samuel Koch

Am 4. Dezember 2010 verunglückte Samuel Koch bei „Wetten, dass …?“ live im ZDF – vor den Augen von Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern Seitdem ist nichts mehr wie es war, das Leben von Samuel Koch hat sich entscheidend verändert. In dieser Ausgabe spricht Anuschka Bayer, Initiatorin des gemeinnützigen Vereins „Horses for Heroes“, über den Tag, der alles veränderte und auch über das Leben danach. Darüber hinaus ist Samuel Koch in Anuschka Bayers Podcast „Hello Heroes“ zu hören – überall, wo es Podcasts gibt…

Interview: Anuschka Bayer für den gemeinnützigen Verein Horses for Heroes e. V.

Der Unfall bei Wetten, dass…? hat dein Leben radikal verändert – wie hast du es geschafft, innerlich stark zu bleiben und so viel Resilienz aufzubauen?

Samuel Koch: Es hat eine ganze Weile gedauert und natürlich gibt es auch bei mir solche und solche Tage. Das Leben ist für mich wie für jeden anderen Menschen auch eine Achterbahn. Ich mag Achterbahnfahrten. Anders als auf der Kirmes sollte man auf der Achterbahn des Lebens aber nicht unten stehen bleiben. 

Ich habe mich entschieden, mich nicht auf das zu konzentrieren, was nicht geht, sondern auf das, was geht. Da bleibt eine ganze Menge zu tun und zu erleben: Ich spiele in München Theater, halte viele Vorträge in Unternehmen und Verbänden, ich reise gerne, treffe Freunde und bin bei meinen Nichten und Neffen als Rollstuhl-Taxi beliebt, wenn es darum geht, wer die Knirpse aus der Kita abholt. Natürlich ist das alles doppelt und dreifach so aufwändig wie bei einem gesunden Menschen, aber was wäre die Alternative? Dass ich zu Hause hocke und meiner Frau auf die Nerven gehe? Das ist keine Option.

Du hast dich trotz aller Herausforderungen entschieden, Schauspieler zu bleiben. Was bedeutet dir dieser Beruf heute?

Samuel Koch: Beim Theater feiere ich, dass man quer durch die Literaturgeschichte von der Antike über die Klassik bis zur Moderne immer wieder herausfinden darf, dass der Phantasie und der Kreativität kaum Grenzen gesetzt sind. Und das Schöne ist, dass meine Kolleginnen und Kollegen keine Berührungsängste haben. Sie sind experimentierfreudig, neugierig und abenteuerlustig. Als ich nach dem Unfall mein Schauspielstudium fortgesetzt habe, dachte ich manchmal: «Es gibt nichts Dämlicheres, als in meinem Zustand so etwas zu machen.» Und jetzt denke ich, es gab eigentlich nichts Besseres.

Dein Schicksal hat nicht nur dich, sondern auch das deutsche Fernsehen verändert – wie nimmst du diese Entwicklung wahr?

Samuel Koch: Ich glaube, dass mein Unfall zu einer gewissen Zurückhaltung bei riskanteren Spielen in TV-Shows geführt hat. Heute setzen sich kaum noch „normale“ Kandidaten einer potenziell gefährlichen Herausforderung aus, sondern nur noch Fernsehprofis. Die Grenzgänger, die das Risiko nicht scheuen, findet man jetzt auf YouTube und in den sozialen Netzwerken.

„Ich habe mich entschieden, mich nicht auf das zu konzentrieren, was nicht geht, sondern auf das, was geht“.

Das ZDF hat mir gegenüber bis heute große Berührungsängste. Ich sollte mal für einen Beitrag in der Sendung „Leute heute“ in einem Windkanal fliegen. Es war alles geplant, und meine Vorfreude war groß, weil die Schwerelosigkeit mein absoluter Lieblingszustand ist, den ich schon ein paarmal erleben durfte, aber dann hat irgendeine Juristen- oder Versicherungsabteilung die Dreharbeiten untersagt, aus Angst, mir könne erneut etwas zustoßen. Die anderen Sender haben das Samuel-Koch-Trauma nicht und sind ein bisschen offener. Mit Pierre Krause habe ich für die ARD-Mediathek in einem Segelflugzeug gedreht. Das war großartig.

Hast du heute noch Kontakt zu Thomas Gottschalk – und wenn ja, wie ist euer Verhältnis?

Samuel Koch: Ich sehe Thomas gelegentlich bei Fernsehsendungen Backstage oder auf Aftershow-Partys. Wenn wir uns treffen, ist es immer eine herzliche Begegnung.

Samuel Koch. Foto: Allendorf und Maurer

Warum sind dir Inklusion und echte gesellschaftliche Teilhabe so wichtig?

Samule Koch: Barrieren sind für mich nicht nur Stufen oder das Fehlen von Aufzügen, sondern vor allem die Hürden in den Köpfen. Barrierefreiheit ist somit eine Frage der Haltung. Ich begegne oft Menschen, die vorsichtig und skeptisch sind und vielleicht Angst vor dem Unbekannten haben und deswegen so eine „Hände in die Hosentaschen-Mentalität“ an den Tag legen. Es ist nicht nur im öffentlichen Raum so, sondern auch in Theatern, dass Leute sagen: „Oh, das ist schwierig“, „Nein, das geht nicht“, „Hier haben wir jetzt ein Problem“, „Das haben wir noch nie gemacht und dafür sind wir nicht versichert.“ Inklusion ist erst dann erreicht, wenn sie zu einer Selbstverständlichkeit im Bewusstsein der Menschen geworden ist, weil dann Lösungen für Probleme entstehen, ohne lange darüber zu diskutieren. Als ich einmal ein Ensembletreffen mit meinen Kollegen hatte, stand ich plötzlich vor sieben oder acht Stufen und kam nicht rein. Drei Minuten später saß ich drinnen am Tisch. Die Kollegen hatten mich einfach hochgetragen. Das ist doch viel besser, als mit dem Modewort Inklusion über den Hausherrn und die fehlende Rampe zu schimpfen.

Welchen Rat würdest du Menschen geben, die selbst einen schweren Einschnitt in ihrem Leben erleben – körperlich, emotional oder seelisch?

Samuel Koch: Ich bin kein Freund von Ratschlägen, denn was für mich gilt, muss nicht für andere Menschen richtig sein. Ich kann – wenn es gewünscht ist –  von mir erzählen und freue mich, wenn es dem ein oder anderen Hilfestellung und Inspiration ist. Nicht jeder hat das Glück, eine so großartige Familie und beste Freunde zu haben wie ich, auf die ich mich stützen und verlassen kann. Ich habe gelernt, um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen. Und Achtung jetzt wird’s abgefahren: Gerade in den verzweifelten Momenten, wenn ich mich unverstanden und allein gelassen fühlte, habe ich es gewagt zu beten und durfte dabei erfahren, dass mein Glaube nicht nur ein psychologisches Hilfskonstrukt oder die Flucht aus der eigenen Bedeutungslosigkeit ist, sondern mir unerklärliche Freude und tiefen, echten Frieden geschenkt hat. Sonst könnte und würde ich wohl nicht weiterkämpfen. Dass ich liebe Menschen und Gott an meiner Seite weiß, gibt mir Kraft, Zukunftsfreude und Gestaltungsmut.

Anzeige

Samuel Koch war zu Gast im Hello Heroes Podcast von Anuschka Bayer und hat mit ihr über seinen Unfall und über sein Leben mit seiner Querschnittslähmung gesprochen. Hier geht’s direkt zur Folge:


Foto: Sergej Falk

Start typing and press Enter to search