Stellung beziehen

Autor: gt!nfo

Fotos: Martin Quilitz

02.03.2022

Von Martin Quilitz


Es ist eine Bankrotterklärung, einen europäischen Partner bei einem Angriff durch ein diktatorisches Regime nicht verteidigen zu können. Fällt die Ukraine in die Hände dieses politischen Barbaren, steht damit auch die Grundidee Europas auf dem Spiel. Putin hat in seiner Rede offenbart, dass er als Anti-Europäer zaristischen Allmachtsfantasien halluziniert. Es gibt kein Erbrecht auf Weltmachtstatus. Unsere Schwäche ist seine Stärke. Wenn die Ukraine eingenommen würde, wer fiele Putin danach zum Opfer? Georgien? Moldawien? Zielen dann Atomraketen auf Berlin? Wenn die westliche Welt das nicht verhindern kann, wird China dann als Nächstes Taiwan "befreien"?

Mich interessieren in diesen Tagen weder die Börse noch unsere Gasvorräte. Mich entsetzt, dass ukrainische Familien auf der Flucht auseinandergerissen werden, Kinder in U-Bahnschächten ausharren. Im zweitgrößten Land Europas sterben Menschen, weil wir diesem machthungrigen Monstrum, dass Oppositionelle in Arbeitslager sperrt, Widersacher vergiften lässt, Krankenhäuser bombardiert und Giftgasangriffe in Syrien unterstützt, Völkerrecht bricht und souveränen Staaten mit freigewählten Regierungen ihr Existenzrecht abspricht, zu wenig entgegensetzen, was ihn aufhalten könnte. Während in der Ukraine Frauen um das Leben ihrer Männer und Söhne bangen, wurde hier über die Kränkung eines narzisstischen Despoten durch die Nato zuvor diskutiert. Hätten westliche Politiker den ehemaligen Ostblockstaaten vorschreiben sollen, in welchem Militärbündnis sie sich sicher fühlen? Das entscheiden souveräne Länder wie Polen nach jahrzehntelanger Diktaturerfahrung selbst. Das existentielle Problem der Ukraine ist nicht, dass sie Natomitglied werden wollte, sondern dass sie es noch nicht ist. Nun sind endlich die Sanktionen verschärft und deutsche Waffenlieferungen genehmigt worden. Wir haben wegen unserer Energie-Abhängigkeit dieses sich lange angekündigte Unheil wegignoriert. Deutsche Ex-Politiker haben sich dabei auch noch die Taschen gefüllt. Gerhard Schröder sollte nicht aus der SPD ausgeschlossen sondern ausgebürgert werden, heim ins Oligarchen-Reich. Wer nach vier Scheidungen kein Geld mehr für den Lebensabend hat, sollte diesen im Elfenbeinturm des Putinpalasts verbringen. Die Schnittmenge von Querdenkern und AfD mit Putinverstehern ist groß, sie reicht von links- bis rechtsaußen, von Sahra Wagenknecht bis Roger Köppel von der Schweizer SVP. Weil sie Ihr „Wissen“ über politische Hintergründe aus russischen Propagandamedien wie RTdeutsch beziehen? Wo sind die „Spaziergänger“, die sich in einer „Corona-Diktatur" wähnen, wenn eine lupenreine Diktatur ein europäisches Land in Schutt und Asche legt? Verstehen sie diese Nahtoderfahrung nicht, weil sie seit Pandemiebeginn bereits hirntot sind? Gegen die Klimakrise kann jeder individuell einen kleinen Beitrag leisten. Bei einer weltpolitischen Krise wie diesem unbegründeten Angriffskrieg eines totalitären Unrechtsstaats, fühlt man nur Wut und Ohnmacht. Ich werde mich intensiver mit meinen ukrainischen und russischen Freunden über Demokratie und Despotismus austauschen. Ich werde weiter ukrainische und russische Literatur lesen, da Kultur und ein gemeinsames Wertesystem Europa zu allererst verbindet. Aus diesem gemeinsamen Wertekanon hat sich Putin endgültig verabschiedet. Zuerst aber verliert Putinfreund Gergiev seinen Dirigenten-Posten in München. Eurovision Song Contest, Champions League-Finale und Formel 1 finden nicht mehr mit oder in Russland statt. Das stoppt Putin nicht, ist aber sinnvoll, wenn dadurch die russische Bevölkerung versteht, dass ein mörderischen Krieg ihr Land isoliert. Reine Russenphobie wäre jetzt aber kontraproduktiv. Junge Russen protestieren gegen den Krieg, mehr als 4000 wurden festgenommen. Auch russische Mütter beweinen den sinnlosen Tod ihrer Söhne. Sie zu unterstützen, ihrem „Führer“ deswegen abzuschwören, kann Wandel bewirken. Wir Europäer müssen die Ukraine langfristig unterstützen, Flüchtlinge aufnehmen, die Nato stärken und endlich die umwelt- wie friedensgefährdende Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden. Freiheit und Demokratie dürfen nicht als Verlierer von der Weltbühne abtreten. Mein Mitgefühl gilt den leidtragenden Menschen in der Ukraine.

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