Führungskraft durch Niederlagen

Autor: gt!nfo

27.01.2022


Die monatliche Kolumne von Martin Quilitz

 

Mir wurde kürzlich angetragen, die Veranstaltungspausen als Olaf-Scholz-Imitator zu überbrücken. Äußerlich kein Problem, aber ich neige zu Bluthochdruck und kriege deswegen seine unterzuckerte Rhetorik nicht hin. Trotzdem habe ich die Pandemie bisher psychisch durch Ingo Zamperoni unbeschadet überstanden ... Würde er mich nicht nahezu allabendlich aufforden: „Bleiben Sie zuversichtlich“, hätte ich vereinzelt geschwächelt. Hätte ich auf ZDF-Anchorman Claus Kleber gesetzt, wäre mir auch dieser Anker jetzt genommen.

 

Das vergangene Jahr hat gezeigt: Um Führungskraft zu werden, muss man zuvor gescheitert sein. Scholz verliert die Wahl um den SPD-Parteivorsitz und wird Kanzler, Giffey regierende Bürgermeisterin nach Rücktritt als Familienministerin, Merz nach zwei Niederlagen CDU-Parteivorsitzender, Baerbock nach verlorenem Kanzlerinnen-Rennen Außenministerin, Lindner nach vergurkten Koalitionsverhandlungen 2017 Finanzminister, Sebastian Kurz nach skandalbedingtem Rücktritt Global Strategies Manager in den USA. Was macht Djokovic nach erzwungener Heimreise, weil sich der australische Einwanderungsminister dachte „Djokovic, der kimmich mal!“? Wird Spahn Aufsichtsratsvorsitzender bei einem Maskenhersteller? Wird Armin Laschet, der lachende Vagabund, Karnevalspräsident in Aachen?  Mir macht der Aufstieg nach Niederlagen Mut. Könnte ich nach mehr als 100 abgesagten Auftritten in 20/21 einen Karriereschub vor mir haben? Statt Blick zurück im Zorn, Glück im Blick nach vorn? Vieles wird bleiben wie im vergangenen Jahr: die Prophezeiungen Lauterbachs, erst auf der Bühne stehend die Gewissheit, dass die Veranstaltung stattfindet, Dortmund spielt um Platz zwei.

Manches heißt nur anders: Absage heißt Terminverschiebung, Merkel heißt jetzt Scholz, Lockdown heißt Verschnaufpause, Verspätung heißt Fahrzeitverlängerung, Klimaschutz heißt Strukturwandel, Zukunft heißt jetzt Merz .. zumindest bei der CDU. Wandel durch Konstanz. Deutsche mögen keine Revolutionen, zumindest wenn sie nicht per Knopfdruck auf dem Sofa auszulösen sind.

Die Feindbilder verändern sich: das bürgerkriegsähnliche Geballer zu Silvester hat sich in einen besinnlichen Jahreswechsel zwangsgewandelt. Statt Brexit nervt jetzt Partygate. Merz scheint eine Geschlechtsumwandlung zu Mutter Theresa anzustreben. Wer Wahlen gewinnen will, frisst vorm Frühstück Kreide. Achtsamkeit ist die neue Lebensfreude. Ich habe mich für 2022 gegen Klimaneutralität entschieden und hoffe stattdessen auf ein deutliches Übergewicht an gutem Klima.

Sollte ich dafür in den Süden ziehen? Oder muss ich letztendlich selber dafür sorgen durch Gelassenheit, Selbstironie und unbegründeten Optimismus?

Wer könnte das besser als wir Ostwestfalen, die Sklaventreiber aus den eigenen Reihen wegen der Arbeitsplätze und Steuereinnahmen noch immer nicht auf den Mond geschossen haben?


Es könnte immer noch schlimmer kommen, in Theatern laufen nur noch Geistershows ... Kultur ja, aber ohne Publikum, ein rechtsextremer Präsident regiert Frankreich, Putin besetzt Kiew, Polen tritt aus der EU aus, Trump kehrt zurück ins Oval Office und macht bei Saturday Night Live Alec-Baldwin-Parodien, Boris Johnson feiert weiter, die AfD regiert nach der Machtergreifung Sachsen, Deutschland boykottiert die WM und schickt stattdessen Bayern München nach Katar.

Vielleicht blühen aber dank Klimaveränderung auch schon im März die Veilchen – und der Summer of Love beglückt uns nach der vorerst letzten Welle ab Ostern mit freier Liebe. Alle Querdenker fallen in ihrer neuen Heimat Paraguay einem Erdbeben zum Opfer, und wir sind endlich nicht mehr gespalten, da jetzt alle einer Meinung sind. Eigentlich möchte ich nur meine Ruhe haben. Das könnte was werden in diesem Jahr, und die Aussicht macht mich irgendwie unruhig.

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