Stadtmarketing: Interview mit Jens Imorde

Autor: gt!nfo

Fotos: Markus Corsmeyer

07.05.2023


Das Interview führten Markus Corsmeyer und Susanne Zimmermann

 

Was ist hier eigentlich los? Stadtmarketing hat die Aufgabe, eine Stadt zu gut zu „verkaufen“, sollte aber eigentlich selbst nicht Gegenstand der Diskussion sein. In Gütersloh ist das gerade anders. Der Geschäftsführer Jan-Erik Weinekötter hat gekündigt, in der Politik wird heftig um den Erfolg seiner Arbeit gestritten. Mit seiner Kritik an den Leistungen des Marketings steht zudem auch der Bürgermeister im Zentrum der politischen Auseinandersetzung. Sturm im Wasserglas oder handfeste Krise? – gt!nfo hat sich den Blick von außen gegönnt und Jens Imorde zum „Stadtgespräch“ eingeladen.  Imorde hat die Anfänge des Stadtmarketings in Gütersloh begleitet und als langjähriger Geschäftsführer des „Netzwerks Innenstadt NRW“ den Überblick über die Entwicklung des Stadtmarketings in den vergangenen gut 20 Jahren.

 

Herr Imorde, wir wollen in diesem Gespräch weder die Arbeit der Geschäftsführung bewerten noch Politik-Bashing betreiben, sondern  die Situation hier in Gütersloh in die Entwicklung des Stadtmarketings generell einordnen…

 

Jens Imorde: …darauf haben wir uns verständigt. 

 

Aber dennoch die Frage:  Hat Sie die aktuelle Diskussion überrascht?

 

Jens Imorde:  Ich kann mich noch gut an die Situation Anfang der 2000er Jahre erinnern und die Diskussion um Aufgaben und Ausrichtung des Stadtmarketing. Auch damals wurde heftig gestritten in der Politik, zudem gab es Parallelstrukturen mit unterschiedlichen Interessen. Aber es schien mir, dass es auf eine Art und Weise ein Commitment gegeben hätte, dass es in den letzten 15 Jahren zu einer Erfolgsgeschichte hat werden lassen. Ich hatte immer wieder Kontakte und Gespräche nach Gütersloh und habe immer gedacht, das läuft doch ganz gut. Deshalb war ich ein wenig verwundert, als ich von den aktuellen Auseinandersetzungen las. Aber es ist schwierig, von außen alle Hintergründe zu beurteilen.

 

Ist der Streit ums Stadtmarketing eigentlich ein Gütersloher Phänomen?

 

Eher nicht. Ich muss da ein wenig ausholen und auf die Geschichte des Stadtmarketings eingehen. Der Prozess beginnt Mitte der 90er Jahre. Damals und so um die Jahrtausendwende wurden mit hohem Aufwand und breiter Beteiligung Konzepte entwickelt. In der Umsetzung standen danach zunächst in vielen Fällen Stadtfest-Organisation und Werbung im Zentrum. Sprich: Das was mit hohem Aufwand angekündigt wurde, spiegelte sich in der Regel in den Aufgabengebieten nicht wider. Ab den 2010er Jahren erweiterte sich das Portfolio dann , nicht zuletzt weil sich auch die Förderbedingungen des Landes änderten, von der Einzelprojektförderung hin zum „integrierten Handlungskonzept“. Das erforderte eine umfassende Kommunikation nach innen in die verschiedenen Bereiche der Verwaltung, aber auch in die Bürgerschaft – das was Stadtmarketing kann. So wurde die Grundidee des Marketings quasi zur Normalität.

 

Also alles gut soweit?

 

Imorde: Nun, auch das hat zu Reaktionen geführt, beispielsweise in den Planungsämtern, die hier ebenfalls Zuständigkeiten reklamierten. Wir beobachten zurzeit wieder eine Diskussion über die Aufgaben des Stadtmarketings – und die wird häufig haushälterisch geführt, nach dem Motto: Was können wir uns noch leisten? Das ist deswegen bitter, weil diese Effizienzdebatte nicht mit einer Evaluation verbunden ist, sondern häufig mit Erfahrungen einzelner Personen. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass das Meiste beim Stadtmarketing Hintergrundarbeit ist.

 

 

 

 

Was also ist - ganz allgemein - fürs Stadtmarketing selbst die größte Herausforderung in der allgemeinen Wahrnehmung?

 

Imorde: Die Akzeptanz.  Auch hier steht häufig die subjektive Einschätzung im Vordergrund. Beispiel: Die Stadt Kleve hat in den letzten zehn Jahren eine Menge geleistet beim Umbau der Innenstadt. Wenn Sie die Menschen fragen, hören Sie aber häufig: „Hier passiert doch nie was.“ Der Blick auf die eigene Stadt ist gern mal reduziert auf die eigenen Interessen und den eigenen Kiez.

 

Und wo liegt die größte aktuelle Aufgabe für das Stadtmarketing?

 

Imorde:  In der Transformation, die die Innenstädte in den nächsten Jahren durchmachen werden. Karstadt-Kaufhof steht im Blickfeld, aber darüber hinaus hat keiner so richtig die weiteren Veränderungen der letzten Jahre registriert. C&A hat 150 Filialen geschlossen, H&M  und Douglas sind ebenfalls rausgegangen aus den Städten. Und diese Rückzug auch der Filialisten ist noch nicht zu Ende. Alle Akteure müssen sich die Frage stellen, wie die Innenstadt in Zukunft aussehen soll, damit Menschen in die Stadt kommen, wenn nicht mehr der Einzelhandel die alleinige Anziehungskraft hat. 

In diesem Transformationsprozess haben Immobilienbesitzer eine entscheidende Rolle. Aber das Stadtmarketing mit seinen Kontakten in die Privatwirtschaft und zu allen Akteuren hat hier ebenfalls einen wichtigen Part. Im Stadtmarketing sind die Kommunikationsexperten – diejenigen, die die Akteure zusammenholen und dazu bringen können, Wege auszuprobieren und sie dabei zu begleiten. Richtig ist aber auch: Marketing und auch die Stadt selbst können nur Angebote machen – bei Leerständen haben die Immobilienbesitzer das letzte Wort. Das wird in der Öffentlichkeit nicht immer so wahrgenommen.

 

All das setzt ein ganzes Stück Partizipation voraus. Zusammenarbeit ist also die erste Pflicht?

 

Imorde: Natürlich. Aber nicht nur mit den Akteuren, Akteurinnen der Stadtgesellschaft und der Bürgerschaft, sondern auch in der Binnenkommunikation mit der Verwaltung.  Ich bin übrigens nie ein Freund davon gewesen, Stadtmarketing als GmbH-Lösung zu organisieren.  Meiner Ansicht nach sollte es Teil der Verwaltung  ein. Die Wege sind einfach kürzer. Münster ist meiner Meinung nach ein gutes Beispiel. Hier ist das Stadtmarketing Teil der Verwaltung, angedockt an das Dezernat des Stadtbaurats. Aber es gibt im Endeffekt keine Blaupause dafür, was funktioniert in einer Kommune. Das hat was mit politischer Konstellation, aber auch mit der Kommunikationskultur zu tun, und die ist sehr unterschiedlich.

 

Und welche Expertise sollte die Geschäftsführung mitbringen?

 

Imorde: Ganz einfach: eierlegende Wollmilchsau. Aber im Ernst: Kommunikationsfähigkeit ist die wesentliche Voraussetzung. Der Chef oder die Chefin des Stadtmarketings muss nicht alles selbst können, sondern er oder sie muss wissen, wer was kann und die Fachleute dazu holen. Entscheidend ist allerdings auch folgendes: Stadtmarketing steht und fällt mit der Stadtspitze. Wenn der Bürgermeister oder die Bürgermeisterin nicht mitzieht, werden Stadtmarketing-Verantwortliche immer scheitern.

 

Sie sprachen vorhin davon, dass der Erfolg des Marketings auch vor dem Hintergrund  der Finanzierung kritisch diskutiert wird. Kann Stadtmarketing sich selbst finanzieren?

 

Imorde: Das ist eine absolute Illusion. In bestimmten Konstellationen kann eine Finanzierung auf verschiedene Schultern verteilt werden. Das hat immer was mit der individuellen Situation vor Ort zu tun. Wenn es geht, sollte es die Möglichkeit geben, verschiedene Stadtakteure in die Finanzierung mit einzubinden. Die müssen dann aber auch ein Mitspracherecht bei den Entscheidungen haben.

 

Welche Rolle spielen Unternehmen?

 

Imorde: Eine extrem große. Denn sie profitieren für ihre Standortwerbung von einem funktionierenden Stadtgefüge. Es macht also Sinn, dass sich Unternehmen beteiligen. In Lengerich hat das zum Beispiel dazu geführt, dass sich Unternehmen zu 50 Prozent am Stadtmarketing beteiligt haben. Meine Meinung: Die Unternehmen haben durchaus noch eine stärkere Möglichkeit sich einzubringen, als sie das bisher tun.

 

Welche Bedeutung hat die Bildung einer Marke für eine Stadt? Uns ist aufgefallen, dass viele Städte gezielt auf ein Influencer-Marketing setzen, um die Marke zu transportieren.

 

Imorde: Ich verweise auf den „Marketing-Papst“ Heribert Meffert, der ja auch von der Gütersloher Bertelsmann Stiftung bekannt ist: In einer Untersuchung zu den drei Großstädten Bielefeld, Münster und Dortmund hat er bereits 1998 herausgearbeitet, dass das Markenpotenzial einer Stadt am größten ist, wenn Eigenwahrnehmung Fremdwahrnehmung fast gleich sind. Die Wahrnehmung von außen zu verändern ist sehr kompliziert und dauert lange. Influencer sind ein Mittel . Events sind es übrigens nicht unbedingt. Sie sind Teil des Regionalmarketings, wirken aber in der Regel nicht auf die Marke.

 

Aber können nicht kreative Events zur Identitätsbildung einer Stadt beitragen?

 

Imorde: Nur wenn sie unverwechselbar sind und originär für diese eine Stadt. Aber genau das ist in den wenigsten Fällen so. Meine subjektive Erfahrung: Wenn ich durch eine Stadt gehe, erwarte ich Überraschendes, nicht überall das Gleiche. Aber das trifft sich meistens nicht mit den Absichten der Beschicker solcher Events, die wollen möglichst im voraus planen. Und dann darf es möglichst die Stadt auch nichts kosten. Sowas ist Nice to have, aber nicht die wesentliche Aufgabe des Stadtmarketings.

 

Sondern woran misst sich der Erfolg?

 

 Nicht an der Fülle der Events, sondern an der erfolgreichen Kommunikation mit den Akteuren in der Innenstadt.

 

Ist Erfolg eigentlich besonders schwierig für eine Stadt von der Größe Güterslohs, nominell mit 100 000 Einwohnern Großstadt. Zu groß für kuschelige Dörflichkeit und zu klein für alle Ansprüche an eine „echte“ Großstadt?

 

Imorde: Das ist nicht so erheblich. Es geht nicht um die Stadtgröße, sondern um die Frage: Schaffe ich es, in dieser Stadt ein Gefühl herzustellen, dass die Bürger und Bürgerinnen sagen: Das ist meine Stadt, und es lohnt sich hier zu leben? Das hat nichts mit der Größe zu tun, sondern mit der Frage, wie ich versuche denen, die hier leben, etwas zu ermöglichen, das sie woanders nicht haben. Ich nenne das ein Gefühl von Heimat. Das ist  Grundvoraussetzung für alles weitere, was wir hier diskutiert haben. 

 

Was muss passieren, damit die Diskussion in Gütersloh beendet wird?

 

Imorde: Gütersloh war seinerzeit in der ersten Phase des Stadtmarketings dafür bekannt, dass sich Politik an diesem Thema zerrieben hat. Das Thema scheint mir noch immer extrem politisch aufgeladen zu sein. Aber sobald es zum Politikum wird, hat die Idee Stadtmarketing verloren. Das ist für mich der entscheidende Punkt. In dieser Konfrontation verlässt man die Ebene, auf der die gemeinsame Sache wichtig ist. Dann gewinnt letztlich niemand.

 

Ist Stadtmarketing alternativlos.

Imorde: Ja.

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