Sind Vereine noch sexy?

Sybille Hilgert

Autor: Sybille Hilgert

Fotos: Patrick Seidel

08.10.2023

Vereine haben Nachwuchsprobleme. Viele scheuen sich davor, Verantwortung in den Vorständen zu übernehmen. Das führt soweit, dass sich einige Traditionsvereine bereits aufgelöst haben oder kurz vor der Auflösung stehen. Wir wollten von Patrick Seidel, dem Vorstandsvorsitzenden der Gütersloher Schützengesellschaft, wissen, ob Vereine noch eine Zukunft haben.

 

Interview: Sybille Hilgert - Fotos: Patrick Seidel




 

Herr Seidel, angesichts von Nachfolgeproblemen in Vereins-Vorständen und der Auflösung von Traditionsvereinen stellt sich die Frage: Sind Vereine heute noch sexy?

 

Patrick Seidel: Wenn Sie fragen, ob Vereine noch sexy sind, dann fragen sie automatisch auch, ob Menschen noch sexy sind. Der Verein selbst ist immer die Hülle, in der viele Unterthemen stecken – egal, ob gesellschaftliche oder sportliche. In unserem Fall sind das die Schützen. In anderen Fällen ist es das Skifahren, Schachspielen oder das Briefmarkensammeln. Aber letztendlich hat ein Verein den Zweck, Menschen zusammenzubringen.

 

Und gerade nach der Pandemie genießen es die Menschen, wieder zusammenzukommen, sich zu treffen, gemeinsam Sport zu machen, zu reden, zu feiern. Und auch die Themen, mit denen sich Vereine beschäftigen, sind wichtig und tragen zum Zusammenhalt bei.

 

Und trotzdem gibt es Nachwuchsprobleme.

 

Patrick Seidel: Wenn ich Nachwuchs gewinnen will, muss ich aktiv werden in der Öffentlichkeitsarbeit, im Marketing. Vereine müssen ja auch gesehen werden. In der Pandemie haben wir uns zu einer Klausurtagung zurückgezogen und Position für Position festgelegt, was wir für uns wollen. Es geht nicht mehr nur darum, was wir für andere wollen. Und seitdem wir das machen, hat sich unsere Außenwirkung noch einmal geändert.

 

Nur ein Beispiel: Aufgrund der Rahmenbedingungen in der Pandemie haben wir nicht mehr im Zelt gefeiert, sondern aus unserem klassischen Schützenfest am Heidewald eine Open-Air-Veranstaltung gemacht. Das ist sehr gut angekommen und hat auch Menschen angezogen, die sonst nicht gekommen wären. Und auch das hilft dabei, neue Mitglieder zu gewinnen.

 

 

 

Es wirkt ja auch so, als hätte Ihr Verein gar keine Nachwuchsprobleme. Ihr Vorstand ist fast durchgängig mit jungen Leuten besetzt.

 

Patrick Seidel: Wir sind tatsächlich der älteste Gütersloher Verein. Aber wir haben einen modernen, jungen, hundertprozentig agil agierenden Vorstand. Das funktioniert so gut, weil wir auf Augenhöhe kommunizieren ohne strenge Hierarchien. Das strahlen wir aus, und das macht uns für junge Leute interessant. Ja, wir haben natürlich auch unsere Baustellen, genug Arbeit und eine große Verantwortung mit unserem Grundstück am Heidewald. Aber alles zusammen macht einfach Spaß und ist für unser Leben eine große Bereicherung.

 

Worauf führen Sie das zurück, dass Ihr Vorstand so gut ist?

 

Patrick Seidel: Wir haben mit dieser Konstellation Glück - das muss ich einfach so sagen. Auf der anderen Seite gehen wir offen und transparent mit den Aufgaben und den Verantwortlichkeiten um, so dass kein Vorstandsmitglied Manschetten vor dem jeweiligen Job hatte.

 

Natürlich darf man nicht vergessen, dass eine Vereinsmitgliedschaft auch eine Verpflichtung ist. Man kann im Verein aber auch Aufgaben übernehmen, die nicht mit so großer Verantwortung verbunden sind. Denn viele Hände schaffen zusammen auch viel. Wie zum Beispiel bei Fußball- oder Tennisplätzen, die nach der Winterpause wieder spielfit gemacht werden müssen.

 

Es gibt aber kein Patentrezept für Nachwuchswerbung?

 

Patrick Seidel: Nein ich habe keins. Für mich gilt allerdings: Wenn jemand im Verein arbeitet, weil er sich Vorteile davon erhofft, dann sollte er es lieber lassen. Wenn ich für einen Verein arbeite, dann arbeite ich für den Verein und nicht für mein Ego. Egoismus darf nicht die Motivation sein.

 

Sind Vereine gesellschaftlich relevant?

 

Patrick Seidel: Wer Vereine hinterfragt, hinterfragt die Sinnhaftigkeit von Zusammenkünften von Menschen zu bestimmten Themen. Wenn wir von heute auf morgen alle Vereine auflösen würden, dann hätten viele Kinder nachmittags kein Training, keine Betreuung, könnten ihren Hobbys nicht nachgehen. Integration wäre ohne Vereine ganz schwierig. Wenn man dann auch noch die wirtschaftlich erfolgreichen Vereine auflösen würde, dann wäre zum Beispiel sofort die komplette Fußball-Bundesliga verschwunden. Viele Dinge, wo Menschen hingehen und ihre Freizeit verbringen, gäbe es dann nicht mehr.

 

 

Trotzdem, warum sterben so viele Vereine?

 

Patrick Seidel: Da spielen sicherlich viele Dinge eine Rolle. Da ist natürlich die demographische Situation: Die Gesellschaft ist einfach überaltert. Angesichts der derzeitigen Inflation überlegen auch viele Menschen, wofür sie ihr Geld ausgeben – und da geraten die Vereine schnell ins Hintertreffen. Außerdem gibt es derzeit bei vielen eine riesige Erwartungshaltung. Es wird viel gefordert, aber es gibt kaum Bereitschaft, dafür eine entsprechende Vor- oder Gegenleistung zu erbringen. Vielleicht sind manche Vereine auch einfach nicht mit der Zeit gegangen.

 

Wie kann sich ein Verein modernisieren?

 

Patrick Seidel: Ich kann da nur von uns sprechen: Wir versuchen Tradition und Moderne zu verbinden, was auch unser Hashtag #traditionmodernisieren zeigt. Wir schauen in die Zukunft, vergessen aber nie, wo unsere Wurzeln sind. Neben dem geselligen Zusammensein fördern wir auf unserer modernen Anlage den Schießsport, der in unserem Vereinsleben einen hohen Stellenwert einnimmt.

 

Haben Vereine immer noch eine Funktion als Gesellschaftskitt?

 

Patrick Seidel: Zum Teil erlebe ich das wieder mehr. Die Gesellschaft hat sich natürlich verändert, und junge Erwachsene verlassen nach dem Schulabschluss häufig Gütersloh, um zu studieren, eine Ausbildung oder ein Gap-Year zu machen. Viele kommen dann auch nicht mehr zurück. Aber ich kenne auch viele, die ihren Urlaub so legen, dass sie am Schützenfest teilnehmen können. Das ist dann wie ein nach Hause kommen.

 

An unseren Parties bei den Schützenfesten nehmen auch viele andere Nationalitäten, die hier eingebürgert sind, teil. Die kommen zwar nicht zum Festumzug, aber sie feiern mit uns zusammen.

 

Vereine haben also Zukunft?

 

Patrick Seidel: Vereine haben eine Zukunft, wenn Menschen weiterhin Menschen begegnen wollen. Dazu brauchen wir Menschen, die sich engagieren. Ich glaube einfach daran, dass wir uns dahin entwickeln werden und uns nicht mehr weiter voneinander entfernen.

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