„Jeder Haushalt sollte sparen. Jetzt.“

Autor: gt!nfo

Fotos: Heiner Wichelmann

29.06.2022


Draußen scheint die Sonne, die Wärme lässt die finanziell deutlich kälter werdende Situation der Privathaushalte ein wenig vergessen machen, aber wir alle wissen: Klimawandel und Corona, aktuell aber vor allem der Überfall Putins auf die Ukraine und die dadurch provozierten Sanktionen Deutschlands gegen den Aggressor Russland belasten unsere Volkswirtschaft – und vor allem die unteren und mittleren Einkommensschichten. Wo können die Haushalte am effektivsten sparen? gt!nfo fragte Jutta Hülsmann, Leiterin der Beratungsstelle Gütersloh der Verbraucherzentrale (VZ) Nordrhein-Westfalen. Sie gibt wichtige Hinweise und bilanziert auch Erfahrungen nach 37jähriger Berufstätigkeit für die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher.


Interview: Heiner Wichelmann

 

Frau Hülsmann, reichen die bisherigen staatlichen Entlastungsmaßnahmen – zum Beispiel die Anhebung der Steuerfreibeträge und der Energiepreispauschale, der befristete Tankrabatt, die Absenkung der EEG-Umlage und das ebenfalls befristete 9-Euro-Ticket – aus, um die Ausgaben für die gestiegenen Energiepreise, Mietnebenkosten und Lebensmittel auszugleichen?

 

Hülsmann: Nein, das Geld wird an allen Ecken und Enden knapper, die Verbraucherpreise steigen in diesem Jahr wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Daher ist es sehr angeraten, wo immer es geht, durch persönliche Strategien Geld einzusparen. Jeder Haushalt sollte sparen. Jetzt. Die Entlastungspakete kompensieren das hohe Energiepreisniveau ja nur teilweise.

 

Sieht die Verbraucherzentrale die Entlastungspakete also eher kritisch?

 

Hülsmann: Ich kann Ihnen sagen, dass der „Verbraucherzentrale Bundesverband“ die Bundesregierung aufgefordert hat, vor allem Menschen mit geringem Einkommen gezielt zu unterstützen. Und er fordert auch die Einführung eines Mobilitätsgeldes, das Verbraucherinnen und Verbraucher unabhängig vom Einkommen oder der Verkehrsmittelwahl entlastet.

 

Das ist die politische Ebene. Können Sie vor Ort mit Ihrem Team den Haushalten helfen?

 

Hülsmann: Natürlich. Wir stehen als Verbraucherzentrale gerade für die Beratung vor Ort zur Verfügung und die Menschen kommen jetzt auch wieder vermehrt zu uns. Übrigens: Wie und wo man im persönlichen Bereich am effektivsten sparen kann, darüber kann man sich heute auch wunderbar im Internet auf den Seiten der Verbraucherzentrale (Anm. d. Redaktion: www.verbraucherzentrale.nrw) informieren.

 

Sie starteten 1988 mit der Verbraucherberatung in Gütersloh und haben seitdem Tausenden Haushalten und Privatpersonen wertvolle Orientierung gegeben. Da drängt sich die Frage auf: Hat sich der typische Verbraucher in dieser langen Zeit eigentlich verändert? Sind wir kritischer, aufmerksamer, bewusster geworden im Umgang mit unseren Ressourcen? Oder stimmt vielleicht eher das Gegenteil?

 

Hülsmann: Das lässt sich so pauschal kaum beantworten, da würde ich mich schwertun. Ich sage es mal so: Es gibt nach wie vor die sehr kritischen Verbraucherinnen und Verbraucher und nach wie vor die eher unvorsichtigen, die in fast jedes betrügerische Fettnäpfchen treten, das man ihnen hinstellt.

 

Telefonwerbung, Abzocke im Internet ...

 

Hülsmann: ... ja, die Fallstricke lauern nach wie vor überall und gerade heute, wo es uns aufgrund der aktuellen Krisen noch mehr ans Geld geht, müssen wir noch vorsichtiger sein als zuvor.

 

Wer ist denn von diesen Betrügereien am häufigsten betroffen? Es wird doch immer wieder, auch von Ihrem Haus, intensiv in allen Medien vor Leichtsinn gewarnt.

 

Hülsmann: Richtig, aber bestimmte Themen begleiten mich seit Jahrzehnten und die Zielgruppen bleiben stets die gleichen: Es sind vor allem Ältere und Menschen mit Migrationshintergrund, die zu den bevorzugten Opfern zählen.

 

Was sind aktuell die häufigsten Themen, mit denen die Verbraucherinnen und Verbraucher zu Ihnen kommen?

 

Hülsmann: Die Menschen kommen auf jeden Fall aufgrund der Erfahrung mit den jetzt explodierenden Energiepreisen. Das führt dazu, dass viele jetzt bewusster werden, sie sind also deutlich kritischer als vielleicht früher mal. Bei der Energieberatung stehen Klima- und Umweltschutzthemen klar im Vordergrund und da gibt’s auch absolute Topthemen, nämlich die Fotovoltaikanlage und die Wärmepumpe. Früher war es die Überprüfung der Heizkostenabrechnung, heute kommen die Menschen zu geschätzt 80 Prozent mit Fragen zum Wechsel zu alternativen Energietechniken.

 

Sind Wärme und Energie generell die Posten, bei denen die Haushalte finanziell am stärksten sparen können?

 

Hülsmann: Wer es sich beizeiten leisten konnte, in Fotovoltaik zu investieren und auf E-Mobilität gewechselt ist, vielleicht auch mehr Wege mit Pedelec oder E-Bike zurücklegt, ist klar im Vorteil.

 

Nicht jeder kann sich bei den jetzt rapide gestiegenen Investitionssummen mal eben schnell diese Anschaffungen leisten, auch die Kreditzinsen klettern ja nach oben. Helfen Sie uns bitte mit Tipps, wo wir alle in unserem Einkaufs- und Verbrauchsverhalten trotzdem noch spürbar sparen können!

 

Hülsmann: Ich verweise auf die grundsätzlich bekannten Ansätze, die wir alle beherzigen können. Erstens: Priorisieren Sie die Ausgaben, die Ihnen besonders wichtig sind! Zweitens: Führen Sie ein Haushaltsbuch, um den Überblick über Ihre Finanzen zu behalten! Drittens: Minimieren Sie Ihren Stromverbrauch, da besonders die Energiepreise stark steigen! Und Viertens: Nehmen Sie auch die vielen, vielen kleinen Spartipps für den Alltag ernst: jede Kilowattstunde weniger zählt.

 

Was sollte ich als Verbraucher denn unbedingt vermeiden?

 

Hülsmann: Es ist zum Beispiel keine gute Idee, den Dispokredit bis zum letzten auszureizen. Der Überziehungskredit kostet Zinsen, die in vielen Fällen empfindlich hoch sind. Und Vorsicht vor unseriösen Kleinkreditangeboten! Die erkennt man oft schon daran, wenn Sie keine Schufa-Auskunft vorlegen müssen. Und man sollte beim Umschulden von laufenden Krediten vorsichtig und misstrauisch sein. Die Verbraucherzentrale NRW rät auch dazu, keine unseriösen Heim-Job-Angebote anzunehmen. In Zweifelsfällen sollte man zu uns kommen, wir überprüfen gerne den jeweils konkreten Fall. Wir raten auch dazu, die Versicherungen zu überprüfen. Ein Konditionenvergleich lohnt sich immer und man kann manchen Euro sparen. Vielleicht sind Sie hier und da sogar überversichert? Auch hier gilt: Prüfen und sparen.

 

Gehen wir doch mal typische Verbraucherausgaben hinsichtlich ihrer Einsparpotenziale durch. Wie kann ich beim Auto sparen?

 

Hülsmann: Indem ich schlicht weniger fahre. Ich kenne immer mehr Menschen, die bei kurzen Strecken, und das gilt fürs Stadtgebiet allemal, aufs Fahrrad steigen, wann immer es geht. Und viele berichten, dass sie dabei keine Zeit verlieren, oft sogar im Gegenteil. Ansonsten gelten die altbekannten Spartipps: Stellen Sie den Reifendruck richtig ein, schalten Sie im Leerlauf den Motor aus, fahren Sie gleichmäßig und vor allem: langsam. 70 statt 100 km/h außerorts bringt schon mal rund 20 Prozent weniger Spritverbrauch. Nutzen Sie die Klimaanlage sparsam, tanken Sie vorausschauend: Benzin und Diesel sind zwischen 18 und 20 Uhr in der Regel am günstigsten. Und vergleichen Sie vorher noch über eine App die Spritpreise. Der ÖPNV ist grundsätzlich auch immer eine Alternative.

 

Kommen wir zu den Lebensmitteln. Wo sehen Sie da die wichtigsten Einsparpotenziale?

 

Hülsmann: Ich greife da auf unsere grundsätzlichen Tipps zurück: Sie sparen beispielsweise Geld, wenn Sie saisonale Lebensmittel kaufen. Jedenfalls keine, die über viele tausend Kilometer zu uns transportiert werden, was sie nur teuer macht – von der ökologischen Fragwürdigkeit mal ganz abgesehen. Die Verbraucherzentrale bietet hier übrigens einen Saisonkalender an, an dem man sich sehr gut orientieren kann. Ein Einkauf auf dem Markt kann zudem günstiger sein als im Supermarkt, vor allem kurz vor Ende des Markttags. Was sich auch lohnt, ist das Einkaufen mit dem Wochenplan. Ein solcher Plan reduziert die oft teuren Spontankäufe. Und last not least: Es ist meist günstiger, selbst zu kochen, das Essen in Portionen einzufrieren und dann zum Mitnehmen portionsgerecht aufzutauen, als auf teure Fertigmahlzeiten zurückzugreifen. Sparen können Sie auch bei Getränken: Peppen Sie Leitungswasser mit einem Spritzer Zitrone auf, und sparen Sie die Kiste Mineralwasser!

 

Und schließlich noch das Thema Strom und Heizkosten: was muss, was kann, was darf gar nicht?

 

Hülsmann: Auf die Schnelle: Heizen Sie richtig und stromsparend. Man kann die Heizungsregelung entsprechend optimieren nach Heizzeiten und Vorlauftemperatur. Mit jedem Grad Raumtemperatur weniger können Sie ungefähr sechs Prozent Heizenergie einsparen. Man kann die Heizungsrohre selber dämmen und man sollte das richtige Lüften der Wohnung nicht unterschätzen. Richtig ist, die Fenster möglichst komplett für wenige Minuten zu öffnen. Ventilatoren sind besser als Klimaanlagen! Lufttrocknung besser als Wäschetrockner, duschen besser als baden!

 

Es ist nicht immer einfach, alles richtig zu machen, ein Leben als kritischer Verbraucher zu führen. Wäre das nicht auch eine Aufgabe für Schulen, die Kinder entsprechend zu erziehen?

 

Hülsmann: Sicher. Es gibt auch schon verschiedene Projekte in den Schulen für kritisches Verbraucherverhalten. Die Bildungsreferenten der VZ kommen auf Anfrage gerne in die Schulen, zum Beispiel in berufsbildende Schulen, Stichwort erste eigene Bude, Versicherungen, Mietvertrag, Nebenkosten Strom und Gas. Und es gibt auch extra Angebote für neu zugewanderte Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Auch die findet man auf unserer Website.

 

Hand aufs Herz: Wenn man ganz bewusst lebt, einkauft, verbraucht: Sind da in der Summe 20 Prozent weniger Ausgaben im Gesamtbudget möglich?

 

Hülsmann: Kann sein, kann nicht sein – hängt von jedem selbst ab. Wenn alle 20 Prozent im Durchschnitt einsparen, ist viel erreicht.


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