Tassilo, die Legende Gütersloher Straßen

Autor: gt!nfo

Fotos: Thorsten Wagner-Conert

03.12.2023

Es gibt keinen zweiten seiner Art: Das mag einerseits an seinem außergewöhnlichen Vornamen liegen, andererseits an seiner Berufsausübung, die nun schon fast eine Ewigkeit dauert. Die Rede ist von Tassilo Hardung. Der Mann wird im Januar 89 Jahre alt – und er ist seit unglaublichen vierundsechzigeinhalb Jahren Fahrlehrer. Thorsten Wagner-Conert traf Tassilo, den Außergewöhnlichen in dessen Wohnung. Die Frage nach dem Lieblingsplatz war eigentlich gar keine.


Interview und Fotos: Thorsten Wagner-Conert


Wer so leidenschaftlich gerne Fahrlehrer ist wie Tassilo Hardung, der kann nur einen Lieblingsplatz haben: den Beifahrersitz in seinen Fahrschulautos. Das erste war ein VW Käfer von 1957 – „mit hundsmiserabler Heizung und einem Sitz, der mich schon nach einem Jahr zu einem kaputten Rücken brachte“. Den Fahrschülern aber war’s egal: Käfer fahren war 1959 (am 6. Mai des Jahres begann Hardungs Fahrlehrer-Leben) das Höchste der Gefühle und noch wenigen vorbehalten. „Bei denen löste der Käfer Begeisterung aus, weil sie überhaupt mal was bewegen konnten“, sagt Tassilo Hardung, der sich an deutlich ruhigere Zeiten auf den Straßen erinnert: „Anfangs waren fünf Millionen Fahrzeuge auf der Straße, heute sind es 50 Millionen“, verweist der Fahrlehrer auf die Tatsache, dass einem heute das Zehnfache an Fahrzeugen entgegenkommt.

Gebürtig ist Tassilo – der Name soll übrigens auf Tassilo III. zurückgehen, einen bairischen Herzog, der um 741 geboren wurde. Gebürtig ist Hardung Bielefelder. In den 1950er-Jahren kam er nach Gütersloh: „Ich liebe Gütersloh. Ich fühle mich als Teil dieser Stadt.“ Hier kennt er ungezählte Geschichten, unglaublich viele Menschen. Rund 5.000 davon hat er persönlich zum Führerschein verholfen – seine Fahrschule insgesamt mit zeitweise sechs Fahrlehrern bringt es auf 11.800 Führerschein-Neulinge.


Fahrlehrer und Kommunalpolitiker

Tassilo Hardung ist ein Mensch mit feinem, ruhigem und ausgeglichenem Habitus. Den bringt er auch in die Gütersloher Kommunalpolitik ein – lange Jahre für die FDP, weil deren damaliger Chef, Dr. Paul Gehring, einen Experten für Verkehrsthemen suchte. Viele Jahre später brach er mit den Liberalen, weil er in seinem Alter nicht mehr Ratsherr sein sollte, aber sein wollte. Der Mann flaggte um und ging zur BfGT – und war weiter Ratsherr bis 2020. Seine Expertise als sachkundiger Bürger bringt er weiter ein.

Der lebenslängliche Fahrlehrer hadert nicht mit dem Alter, aber er lässt sich durch sein eigenes auch nicht aus der Bahn werfen: 100 will er werden – und für dieses Ziel schont er sich nicht: Das Haus ohne Aufzug mit der Wohnung im zweiten Stock hat er bewusst ausgesucht. Er trinkt nicht, raucht nicht, isst gut. Und Tassilo Hardung verfügt über reichlich geistige Nahrung in Form von vollgepackten Bücherregalen.

Der Mann ist sich und seiner Haltung treu – und beruflich der Marke Volkswagen. Na fast, denn zwei Ausrutscher gab es: Man habe mal einen Opel versucht, aber der sei miserabel gewesen. Und dann gab’s da einen Mercedes, den aber die Fahrschüler ablehnten: Mit so einem „Gangsterauto“ wollte damals ein Fahrschüler nicht fahren – und er artikulierte das auch. Und seitdem ist bei Tassilo Hardung alles immer VW gewesen – unter anderem auch der allererste VW Golf in Gütersloh 1974. 

 

Führerschein mit 69

 

Seine älteste Führerschein-Bewerberin war 69 und Unternehmergattin. Als Witwe wollte sie den Mercedes ihres Mannes weiterfahren. „Das hat nicht in 100 Stunden geklappt“, sagt Hardung. Aber dann … Leid und Glück war in Tassilo Hardungs Fahrschulautos häufig versammelt – und manchmal gesellte sich auch Skurriles dazu:

Dazu gehört der eine Fahrschüler, der einen Führerschein brauchte, aber dummerweise im Gefängnis in Hamm saß. Tassilo Hardung sprach mit der Gefängnisleitung und durfte den Inhaftierten zu Fahrschulzwecken dort abholen. Der Fahrlehrer hatte das ungute Gefühl, neben einem Menschen zu sitzen, „der ein bisschen anders ist als der Durchschnitt der Bevölkerung. Ich habe ihn nicht nach seinem Haftgrund gefragt.“


Fahrlehrererlaubnis gilt für immer

Und wie hält es der „längste Gütersloher Fahrlehrer“ mit den Stammtischklischees: Frauen können nicht rückwärts einparken und Männer können nicht langsam fahren – und blinken können sie schon mal gar nicht. Zumindest wird das ja immer wieder behauptet. Die Antwort – ein echter Hardung: „Bei Nicht-Blinkern sage ich immer lakonisch: Bei mir hat der den Führerschein nicht gemacht. Wenn ich Fahrschülern beibringe, dass sie blinken, dann blinken die auch den Rest ihres Lebens – ein bisschen großkotzig, ich weiß.“

Dass Frauen nicht rückwärtsfahren können, sage man ihnen nach. „Ich kann Ihnen genauso viele Männer sagen, die da absolute Schwierigkeiten haben.“

Die Fahrschullizenz, die Tassilo Hardung immer schon hat, läuft zum 31. Dezember 23 ab. Seine Fahrlehrererlaubnis aber gilt für immer – und „daran klammere ich mich genauso, wie an meinen Führerschein.“


Das „Ende einer Dienstfahrt“ zum Jahresschluss gibt es also nur ein bisschen und nicht richtig. Mit Tassilo Hardung muss man rechnen – im Zweifel bis mindestens zum Hundertsten Geburtstag. Denn auf Tassilo Hardung kann man sich verlassen – und auf seine sehr ehrenwerte Haltung auch. Gut so.

 

 

Tassilo Hardung ist bereits seit vierundsechzigeinhalb Jahren Fahrlehrer.

 

Nicht nur Autos, sondern auch jede Menge Bücher: Tassilo Hardung vor der vollgepackten Bücherwand in seiner Wohnung.

 

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