
Autor: Heiner Wichelmann
Fotos: Privat
27.04.2022
Serie Teil 5
Geschafft
Mein Hermannslauf: alles ganz anders, 3:44 Stunden lang
Rumms, Start me up! Der Wahnsinn nimmt seinen Lauf, Hermann reckt unter knallblauem Himmel sein Schwert gegen die Römer-Luschen, und aus den Lautsprechern hymnen uns die Pet Shop Boys mit dröhnendem „Go West“ in Richtung West-Nord-West, bei raumem Wind von Ost: Segelwetter, ein Traum für uns euphorisierte Läufermassen.
Text: Heiner Wichelmann
Es bremst sich anfangs automatisch, denn es staut sich wie nach Dienstschluss auf der Verler Straße. Guck mal, zwei Kilometer schon geschafft, aber Mist, warum bin ich nicht vorher noch aufs Dixi-Klo gegangen? Dann schwitz ich‘s halt raus. Jetzt der langgezogene tiefe Sandboden, fast ausgerutscht, ein Rempler, was’n hier los? 28 Kilometer noch, egal, hab ja heute eh nichts anderes zu tun, außerdem wartet meine Familie im Ziel auf mich und mein Chefredakteur auf diesen Beitrag. Aber wo ist die Leichtigkeit der Trainingsläufe? In fünf Wochen werde ich 70, ausgerechnet jetzt merke ich es schmerzhaft. Das Protokoll:
Ehberg oben
Bei der Zwischenrichtzeit liege ich schon drei Minuten über dem Soll – und dazu habe ich meine Lauffreunde Gisbert und Mario verloren, na toll. Zoff im Kopf: Meine Beine sind wie Gallert! Heul nicht! Das wird heute nix! Doch! Nein! Du nervst, go west, das ist hier Magie! Ich scheiß drauf! Halt die Klappe, weiter, weiter, immer weiter!
Tönsberg oben
Die anvisierte Zielzeit von 3:30 Stunden kann ich jetzt schon begraben. Dafür gibt’s aber krachenden Powerrock vom DJ-Pult. Party im Wald, „Helden“-Rufe, Rasseln, Klatschen – Danke, Leute! Schnell mal in die Büsche.
Schopketal
Bin gut durch Oerlinghausen gekommen. Massenhaft Zuschauer, da musst du was zeigen. Aber jetzt habe ich Probleme: Das Power-Gel gibt Energie, liegt aber verdächtig mit dem Magen im Clinch, Ergebnis offen. Und mein Rücken schmerzt wie Hölle, warum denn plötzlich hier und jetzt? Irgendwie hilft es, dass die Leute am Rand meinen Namen rufen – nette Idee, ihn unter die Startnummer auf der Brust zu drucken.
Lämershagener Treppen, oben
Ich halt’s nicht mehr aus, muss auf die Knie und meinen Rücken dehnen, eine Johanniter-Frau steht gleich zur Seite, aber was kann sie tun? Plötzlich höre ich vertraute Stimmen: Gisbert und Mario haben mich eingeholt, kümmern sich um mich und nehmen mich in ihre Mitte. Tut gut, Laufen ist Sozialtherapie, solo ist doof.
Gasthaus am Eisernen Anton
Nur noch die eklige Treppe mit ansteigendem Gelände dahinter nehmen und dann soll’s fast geschafft sein. Ich habe Gisbert und Mario ziehen lassen, glaube aber jetzt an den Erfolg meines privaten Marathons. Bald kommt ja schon die Habichtshöhe, und es wird abschüssig. Downhill hab ich einfach drauf, und der Stallgeruch wirkt wie Booster. Verdammter Rücken, ich muss zweimal zwischendurch dehnen, habe dafür aber einige Überholopfer kassiert. Ha!
Habichtshöhe
Runter, runter, ich tanke Selbstbewusstsein. Jetzt noch zum Tränenhügel rauf, die sanfte erste Steigung hinter der Bodelschwinghstraße habe ich bereits im Blick. Sanft wie eine Rampe ...
Anfang Promenade
Vorfreude mit all den anderen Läuferinnen und Läufern lässt mich den Rückenschmerz vergessen. Fertigmachen zum Show-Sprint für die Meinen, und vielleicht gibt’s ja auch ein Foto. Lächeln! 3:44 Stunden stehen im Ziel auf der Pulsuhr. Da ist Regina, ich fall ihr in die Arme – und mir kommen ein paar Tränen. Mein Kopf ist blutleer, und mir ist ein wenig schwindelig, bin echt fertig, aber glücklich. Welch ein Erlebnis! Und ich lach mich weg über den Spruch von meinem Enkel Lenn (4): „Opa hat gewonnen! Die anderen sind noch im Wald!“ Da schmeckt das Erdinger noch besser.
Kaputt, aber happy mit der Medaille um den Hals.
Das Foto fürs Familienalbum: Noch 40 Meter bis zum Ziel, Freude pur.
gt!nfo-Redakteur Heiner Wichelmann mit Trainerin Tanja Welp und „Herminator“ Ingmar Lundström vom Active Sportshop in Gütersloh (rechts): perfekte Betreuung bis zur Startlinie am Hermann. Danke euch beiden und auch an Gisela und Markus!
Fotos: Privat