Das ganz spezielle Gütersloher Sommermärchen

Autor: gt!nfo

Fotos: Susanne Zimmermann

13.05.2024

Text: Susanne Zimmermann


Vor einigen Jahren in einem portugiesischen Restaurant. Der Wirt stellt die Frage nach der Herkunft. Wir – in der üblichen Annäherungstaktik – „Deutschland, Nähe Dortmund, kennen Sie vielleicht einen Ort namens Gütersloh.“ „Aber natürlich,“ sagt der Wirt begeistert. „Da habe ich Figo und Ronaldo beim Training zugesehen.“


Training mit Figo.


Bilder, die bleiben

Das „Gütersloher Sommermärchen 2006“ in drei Sätzen. Während der Fußball-WM 2006 hatte die portugiesische Seleçao Quartier in der Marienfelder Klosterpforte gemacht und drei öffentliche Trainingseinheiten im Heidewald eingeplant – eine Nachricht, die sich auch ohne Social Media wie ein Lauffeuer verbreitete. Die Stadt, mit dem damaligen Leiter des Fachbereichs Sport, Wilhelm Kottmann, die städtische Öffentlichkeitsarbeit mit dem Verkehrsverein, der FC Gütersloh und die Portugiesische Vereinigung hatten die Organisation vor Ort übernommen - nicht nur für die fußballbegeisterten Gütersloher Portugiesen ein Erlebnis, das auch nach fast zwei Jahrzehnten noch nachwirkt.

Es sind vor allem Bilder, die bleiben – neben den Unterschriften im Goldenen Buch der Stadt, die Bürgermeisterin Maria Unger sich damals von jedem einzelnen der Spieler und ihrem Trainer Scolari dokumentieren ließ. Mit Autogrammen versehene Bälle wurden später für einen guten Zweck versteigert. Mindestens einer dürfte allerdings zusammen mit einem beschrifteten Nationaltrikot auch seinen Platz im portugiesischen Vereinsheim In der Worth gefunden haben.

Mit der Wirkung der Bilder spielte auch das staatliche portugiesische Fernsehen RTP, das mit einem großen Team angereist war und täglich – insgesamt neunmal - live aus Marienfeld und Gütersloh übertrug – aus dem Vereinsheim der Portugiesen, wo ein großes Zelt aufgebaut war und einmal aus der Weberei, denn auch der Standort Gütersloh war Thema in der Berichterstattung.Eine der Bild-Erinnerungen, die auch heute noch zu Herzen gehen, ist das proppevolle Heidewaldstadion mit einer rot-grünen „Wand“ aus Trikots, Bannern, Portugal-Fahnen, Kappen und Hüten. Die städtische Öffentlichkeitsarbeit hatte ebenfalls rot-grün angelegt und verteilte Sticker mit der Aufschrift „benvindo“, „Willkommen“, begehrtes Erinnerungsstück im und am Stadion.





Die ganz großen des internationalen Fußballs

Dreimal trainierte die portugiesische Nationalmannschaft im Juni 2006 auf dem Heidewald-Rasen, der gemäß der FIFA-Vorgaben auf 1,8 Zentimeter gestutzt worden war. Und dreimal feierten Gütersloher mit portugiesischen und anderen Gästen, die aus ganz Deutschland, Europa und Portugal mit Autos, Zug und Bussen angereist kamen, ein gemütliches Fest im ganz großen WM-Fußball-Zirkus. Einen wesentlichen organisatorischen Anteil hatten die Mitglieder der portugiesischen Vereinigung Gütersloh, die unter anderem vor dem Stadion für Essen und Trinken sorgten: Auch hier dominierte rot-grün in allen Variationen. Durch die Luft zog der wunderbare Duft von gegrillten Sardinen und Fleischspießen, und über allem lag Musik, ganz wie bei einer portugiesischen „Festa“.

Es waren ganz Großen des Internationalen Fußballs, die da auf dem Gütersloher Rasen ihre Dehn- und Ballübungen machte: Während Luis Figo, Pauleta oder Costinho die so genannte „Goldene Generation“ des portugiesischen Fußballs repräsentierten, symbolisierte der 21-jährige Christiano Ronaldo die Zukunft – damals eher noch Wunderkind als Nationalheld mit Riesenstatue vor dem eigenen Museum auf Madeira und Namensgeber für den dortigen Flughafen. Bereitwillig standen er und seine Mannschaftskameraden für Fotos (Selfies waren damals noch nicht erfunden) und Autogramme zur Verfügung, denn auch das ist eine der prägenden Erinnerungen an das Sommermärchen im Heidewald: die Nähe zwischen Fans und Fußball-Stars. Es gab kaum Absperrungen, nur glückliche Gesichter und selbst lange Schlangen am Einlass trübten keine Stimmung.

Mitten in so einem Menschenpulk fiel ein stiller älterer Herr kaum auf, der sich an einem dieser Trainingsnachmittage in Richtung Kabinen bewegte: Eusebio, portugiesischer Fußballgott und ewige Legende, Torschützenkönig bei der WM 1966 war als Repräsentant des portugiesischen Fußballverbandes zu Besuch gekommen. Als er 2014 im Alter von 71 Jahren verstarb, rief die Regierung eine dreitägige Staatstrauer aus. Eusebio, Figo und Ronaldo – allein dieser Dreiklang dürfte schon für den Eintrag in Gütersloher Fußball-Chroniken genügen.

Unser Erlebnis im portugiesischen Restaurant zeigt im Übrigen, dass dieses ganz spezielle Gütersloher Sommermärchen, bei dem sich auch der Wettergott als zuverlässiger Fußballfan zu erkennen gab und südliche Sonne ins Stadion schienen ließ, durchaus nachhaltige Wirkung hatte. Vielleicht nicht in dem Sinne, dass nun Scharen portugiesischer Touristen Ostwestfalen als Urlaubsziel entdeckt hätten. Die aktuelle Seleçao kommt ja auf jeden Fall zurück in die Klosterpforte – inklusive Christiano Ronaldo. Vielleicht erkennt der ja irgendwas wieder im Heidewald, falls die portugiesische Nationalmannschaft im Juni dort wieder Trainingseinheiten absolviert. Und vielleicht übergibt man ihm ein kleines Erinnerungsstück - vielleicht einen Schal des FC Gütersloh, den er dann in seinem Museum ausstellen kann. – Unmöglicher Gedanke? – Man wird ja noch träumen dürfen.


Susanne Zimmermann

Die Autorin hat als Leiterin der städtischen Öffentlichkeitsarbeit und damalige Geschäftsführerin des Verkehrsvereins die Sommermärchen-Wochen 2006 „live“ mit vorbereitet und erlebt. Geblieben sind der Kontakt zu den damaligen Akteuren der portugiesischen Vereinigung, die Erinnerung an eine wunderbare Zusammenarbeit mit allen Beteiligten und den Kolleg*innen, allen voran der viel zu früh verstorbene Peter Grünheit.


 

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