„Rassismus ist keine Meinung, sondern Rassismus“

Autor: gt!nfo

17.06.2021

Moment Mal

Ansichten von Stefan Schneidt


Der US-Amerikaner George Floyd wird in Minneapolis vom Polizeibeamten Derek Chauvin umgebracht. Das Video geht um die Welt und löst globale Proteste und Diskussion über jahrhundertelangen Rassismus aus. Viel zu oft sind in der Vergangenheit Menschen darüber zu Wort gekommen, die nicht betroffen sind. Dabei ist es wichtiger denn je, Veränderungen zu bewirken. Dies kann aber nur gelingen, wenn man Betroffenen zuhört und von ihnen lernt.


Ich habe mit Ruth Ngombo gesprochen. Die 20-jährige Studentin der Politik- und Rechtswissenschaften ist Podcasterin, christliche Bloggerin und Mitglied des Vereins Maven Heart Club Germany, einer Partnerorganisation der ghanaischen NGO Maven Heart Foundation. Sie verfolgt das Ziel, Kindern und Jugendlichen aus Familien mit geringem Einkommen eine hochwertige und individuelle Bildung zu ermöglichen.


Frau Ngombo, können Sie sich an Ihre erste Rassismus-Erfahrung erinnern?

In der fünften oder sechsten Klasse habe ich zum allerersten mal Rassismus erfahren, als ein Mädchen aus der oberen Stufe mich in der Schule vor allen anderen mit dem N-Wort beschimpfte. Der Grund war, dass wir zu laut im Flur gespielt hatten. Ich wusste gar nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Also stand ich einfach nur da. Schockiert. Fassungslos. Völlig überfordert mit der Situation.


Ist Rassismus Teil Ihres Alltags?

Rassismus ist ein System, was viele Menschen leider nicht verstehen. Natürlich gibt es subtilere Formen, wie den Alltags- oder positiven Rassismus und Misogynoir, also Feindlichkeit gegenüber schwarzen Frauen. Dennoch sind diese Formen von Rassismus nur Krümmel eines ganzen Kuchens. Rassismus ist die systematische Unterdrückung derer, die aufgrund ihrer Ethnie nicht Teil der Dominanzgesellschaft sind. Es ist die Mischung aus Vorurteilen und Macht. Doch Diskriminierung ist nicht gleich Rassismus. Jeder Mensch kann Vorurteile haben, aber nicht jeder, der diskriminiert, ist ein Rassist. Nur wenn man die ökonomische, soziale und politische Macht hat zu unterdrücken und daraus entstehende Privilegien besitzt, handelt man rassistisch. Aufgrund der Menschheitsgeschichte sind Weiße privilegiert. Doch Privilegien zu haben bedeutet nicht, dass man keine Probleme hat; es bedeutet nur, dass deine Hautfarbe kein Grund dafür ist. Weiße genießen weltweit einen privilegierten Status. Die Antwort lautet also: Ja, auf der Jobsuche, in Bildungseinrichtungen oder auf der Straße – Rassismus ist mein Alltag.


In einer Podcastfolge fordern Sie, dass es nicht ausreicht kein Rassist zu sein, sondern man müsse Antirassist sein. Können Sie das genauer erklären?

Wir sind allesamt rassistisch sozialisiert. Einfach nur zu sagen, „Ich sehe keine Farbe“ oder, „keinen Unterschied" löst das Problem nicht. Im Gegenteil, ich persönlich bin extrem stolz auf meine Herkunft und Hautfarbe, sie sind ein Teil von mir. Das Problem ist nicht, dies anzuerkennen, sondern mich anhand dessen zu beurteilen. Das ist ein Unterschied. Nur weil man sich entschlossen hat, die Augen vor der Problematik zu verschließen, indem man sie ignoriert oder gar negiert, macht es sie nicht weniger zu einem Problem. Wenn uns wirklich so viel aneinander liegt, hören wir Betroffenen zu und versuchen, die Situation zu ändern.


Wie stehen Sie zum Aufleben der Bewegung und zu den Protesten?

Bewegungen und Proteste sind immer toll, dennoch können sie auch Schattenseiten haben. Es ist kein Trend, kein Hype, sondern Lebensrealität. Veränderung muss geschaffen werden – daran messe ich die Nachhaltigkeit solcher Bewegungen. Aber ja, irgendwo muss man anfangen. Deshalb sind sie gut.


Finden Sie es problematisch, dass sich Nichtbetroffene oftmals am vehementesten und ablehnend äußern, wenn es darum geht, rassistische Begriffe aus der Gesellschaft zu verbannen?

Oh ja. Ich frage mich immer warum es relevant ist, rassistische Begriffe in unserem Wortschatz zu behalten. Viele davon sind Reste einer durch Rassismus und Kolonialismus gekennzeichneten Ära und damit Teil einer Tradition. Und die wird dann nicht hinterfragt, ob rassistisch oder nicht. Doch Tradition bedeutet ja nur, dass etwas von Generation zu Generation weitergegeben wurde; es muss aber nicht einem moralischen Maßstab entsprechen. In diesem Fall gibt es einen guten Grund, warum die Vergangenheit dann auch Vergangenheit bleiben sollte. Gleichzeitig sollte es in den Diskussionen um bestimmte Begriffe nie um die Personen gehen, die sie erhalten wollen. Das muss man trennen. Punkt. Letztlich würde ich sagen: Sprache ist Macht. Das darf man nie unterschätzen.


Was müsste in Deutschland geschehen um bei diesem Thema voran zu kommen?

Ich glaube, man muss das Problem Rassismus als solches anerkennen: Es ist ein Problem. Nur weil nicht jeder betroffen ist, wird es nicht weniger wichtig. Leider gibt es auch auf Seiten von BiPoCs (Black, Indigenous, People of Color) Unaufgeklärte. Deshalb schützt eine Freundschaft oder gar Verwandtschaft zu Betroffenen nicht davor, Rassismus zu praktizieren. Rassistisches Gedankengut zu haben und Rassismus zu produzieren ist keine Meinung, sondern Rassismus. Zudem ist es wichtig, den Stimmen der Betroffenen, die sich mit in der Thematik auskennen, Gehör zu schenken. Über die Betroffenen zu sprechen ist nicht dasselbe wie mit ihnen zu sprechen. Dabei ist die Möglichkeit, sich als nichtbetroffene Person mit dieser Thematik zu befassen, schon ein Privileg. Wir BiPoCs haben dieses Privileg nicht. Ob wir wollen oder nicht, wann und wie wir das erste Mal mit dem Thema in Berührung kommen, liegt nicht in unserer Hand. Es passiert einfach. Irgendein Rassist wird mich beim N-Wort nennen, oder anders verbal ausfällig werden, in anderen Fällen auch zuschlagen oder noch schlimmeres.


Es geht also nicht um die Perfektion, als „Außenstehende“ alle Begriffe zu kennen. Es reicht, wenn man demütig genug ist, zuzuhören und nicht direkt in die Defensive zu gehen. Versteht mich nicht falsch: Emotional zu sein und die Thematik aus einer subjektiven Perspektive zu betrachten ist total menschlich und normal. Es geht ums Prinzip für mich und jede andere betroffene Person: Für Menschen einzustehen, gerade auch dann, wenn sie sich in unserer eigenen Mitte befinden.


Infobox:

Black Lives Matter wurde bereits 2013 in den USA gegründet und ist eine transnationale Bewegung, die sich gegen Gewalt gegen Schwarze, also People of Color einsetzt. Black Lives Matter organisiert regelmäßig Proteste gegen die Tötung Schwarzer durch Polizeibeamte und zu anderen Problemen wie Racial Profiling, Polizeigewalt und Rassismus.

Called By The One Podcast auf Spotify und Instagram.com/ruth.ngombo




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