„Innenstadt ist Heimat und Identifikation“

Heiner Wichelmann

Autor: Heiner Wichelmann

07.05.2023

Katharina Ruhr (Stadt+Handel) und Pascal Gehle (Fachbereich Stadtplanung Stadt Gütersloh).


Die Zukunft der Innenstadt ist ein Gütersloher Mega-Thema. Online-Konkurrenz, Kaufkraftschwund, Filialisierung, mangelnde Strahlkraft in die Region fordern die Stadt heraus, die Innenstadt neu zu denken, sie fit zu machen für die Zukunft. Jetzt ist das Planungsbüro Stadt+Handel aus Dortmund mit dem Anstoßprozess für ein Gütersloher Zentrenmanagement beauftragt. Das Büro nahm im Herbst 2022 die Arbeit auf. gt!nfo sprach mit Stadt+Handel-Projektleiterin Katharina Ruhr und mit Pascal Gehle, Fachbereich Stadtplanung der Stadt Gütersloh und zuständig für das Thema Zentrenmanagement.

 

 


Frau Ruhr, Sie kennen die Stadt jetzt seit einem halben Jahr. Wie sehen Sie Gütersloh, wie würden Sie die Stadt beschreiben?

Ruhr: Im ersten Gespräch, das ich hier in Gütersloh hatte, sagte mir jemand: Gütersloh ist ganz nett, aber nicht sexy. Ich kann Ihnen sagen, ich kenne viele Städte, wo die Lage deutlich ernster ist. Gütersloh hat vitale Einkaufsstraßen, eine vielfältige Durchmischung des Angebots und echte Leuchttürme im kulturellen Bereich. Aber es fehlt an einem klaren Alleinstellungsmerkmal. Eine Stadt wie Gütersloh braucht perspektivisch eine deutliche Positionierung am Markt. Hier kann man gut essen, die Menschen sind nett, und es gibt viele innovative Projekte, um die Innenstadt nicht nur als Konsumort, sondern als Alltagsort zu erleben. Das muss beworben werden. Durch unsere Online-Befragung, an der 2.000 Menschen teilgenommen haben, wissen wir, was die Bürgerinnen und Bürger wünschen: mehr Grün, mehr Genuss, mehr Gemütlichkeit. Das sind prägnante Aussagen. Bei mehr als 30 Grad Celsius kann man sich aber heute kaum in der Innenstadt aufhalten. Die Klimaanpassung ist sicherlich ein gewichtiger Punkt für ein künftiges Innenstadtmanagement.

 

Was ist für Sie typisch Gütersloh?

Ruhr: Dass sie nicht langweilig ist. Hier paart sich ein heimischer Charakter mit Großstadt-Feeling. Man kennt sich, man trifft sich. Gütersloh ist angenehm überschaubar. Diese Vertrautheit, Gemütlichkeit, sollte man stärker herausstellen.

Gehle: Ich kann mich da anschließen.

 

Wir haben manchmal das Gefühl, es fehlt der Stadt eine Zukunftsidee, die zu einem Motor werden könnte. Braucht es nicht Projekte, die Gütersloh neue Strahlkraft verleihen können? Die Konkurrenz schläft nun mal nicht.

Ruhr: Ein ganz klares Ja. Allein der Onlinehandel ist eine wahnsinnige Konkurrenz. Warum dann noch in die Innenstadt gehen? Darauf muss Gütersloh eine Antwort finden. Jedes Shoppingcenter macht sich Gedanken über Zielgruppen, Angebote, Spezialisierung. Das müsste auch die ganze Innenstadt machen und alle Themen konsequent durchdenken. Wichtig ist, den Drive von möglichst vielen Bürgerinnen und Bürgern, Einzelhändlerinnen und Einzelhändlern, Beteiligten aller Art zu haben, auch bottom-up organisiert; man muss wissen, was die Menschen wollen. Und es braucht dann auch eine klare Vision, die von allen mitgetragen wird.

 

Was meinen Sie mit Vision?

Ruhr: Wir haben einen Entwurf für eine zukünftige Positionierung vorliegen, können aber noch nicht so viel erzählen, weil wir erst in diesen Tagen in den verwaltungsinternen Austausch gehen. Nur so viel: Es gibt ja die Trends aus der Online-Befragung: Gütersloh soll grüner, gemütlicher, genussvoller werden. Wir müssen also Genuss und Nachhaltigkeit deutlich herauskristallisieren. Das machen wir über die Identifikation von fünf Teilquartieren. Es bringt nichts, mit der Gießkanne über die ganze Stadt zu gehen. Wir haben festgestellt, es gibt verschiedene Lagebereiche. Beispiel Bahnhof: Das Ankommen in die Stadt und das Verteilen in die Stadt muss besser organisiert werden. Der Bereich um den Konrad-Adenauer-Platz vor dem Rathaus muss noch mehr für Versorgung, Dienstleistung, Ärzte stehen. Das „Berliner Viertel“ wird als pulsierende Einkaufsstraße betont; beim Kolbeplatz wird das Thema Genuss noch deutlicher in den Fokus genommen – zum Beispiel über die Gastronomie. Der Bereich Dreiecksplatz steht für Lebensqualität und Kultur. Auch dort macht es Sinn, Maßnahmen zur Stärkung dieser Funktionen zu definieren.

 

Das klingt nach viel Arbeit an vielen Stellen und ob das alles zugunsten auch der Ortsteile ist, sei dahingestellt. Mal provokant gefragt: Wozu brauchen wir eigentlich die Innenstadt?

Ruhr: Wenn wir nur über Warenangebote gehen, braucht‘s die Innenstadt eigentlich nicht. Aber sie bedeutet uns Heimat und Identifikation. Die Innenstadt ist das Abbild der Gesellschaft vor Ort. Innenstadt wird es immer geben, aber sie wird sich verändern, wird sich loslösen von der reinen Versorgungsfunktion, wird mehr Regionalität verkörpern. Sie bleibt der Ort des Zusammenkommens. Hier treffe ich andere Menschen, und hier finde ich den größten Menschenmix. Nicht zuletzt ist Innenstadt das Aushängeschild, die Visitenkarte einer Stadt.

Gehle: Man nimmt auch immer was mit – und zwar nicht nur den Einkauf, sondern Erfahrungen und Erlebnisse. Innenstadt kann sehr viel mehr sein als nur Einkaufsstätte.

 

Wenn der Anteil des Onlinehandels immer größer wird, der bequeme Klick auf den Kaufen-Button immer selbstverständlicher wird, haben wir doch ein grundsätzliches, ernstes Problem?

Ruhr: Das ist eine Tatsache. Vor 20 Jahren lag der Anteil des Onlinehandels noch bei 1 Prozent, heute sind es 15 Prozent. Die Frage, die wir uns heute stellen müssen, ist aber nicht mehr, wie wir diese Entwicklung verhindern können, sondern: Wie können wir das für uns nutzen? Also: Welche Qualitäten können es sein, die das Einkaufen in der Stadt lohnenswert machen? Im Übrigen: Onlinehandel muss man auch differenziert sehen. Bei Drogeriewaren und Lebensmittel ist der Trend deutlich langsamer erkennbar, bei Bekleidung liegt Online-Anteil heute schon bei rund 50 Prozent.

 

Im Juni wollen Sie sich im Rahmen des Projektes Zentrenmanagement mit den Immobilieneigentümern in der Innenstadt an einen Tisch setzen. Die müssen aber auf die Rentabilität ihrer Objekte achten. Das ersehnte Restaurant mit Außengastronomie am Berliner Platz bleibt da wohl ein Wunschtraum. Die Stadt kann ja nicht selbst ein Restaurant eröffnen, oder?

Gehle: Wichtig ist zunächst, sich zusammenzusetzen, ein Netzwerk zwischen den Akteuren der Innenstadt zu schaffen, zu dem natürlich auch die Eigentümer gehören. Überzeugungsarbeit ist gefragt, und Mitmachbereitschaft. Denn die Stadt kann zwar mit guten Beispielen vorangehen, aber die gesteckten Ziele können nur dann erreicht werden, wenn viele mitmachen, eben auch die Eigentümer.

 

Gibt es dafür Beispiele in anderen Städten?

Ruhr: Auch anderswo warten die Eigentümer vergeblich auf die gewünschten Einzelhändler, die die alten hohen Mieten zahlen. Städte reagieren daher immer mehr mit Förderungen aus dem Verfügungsfonds Anmietung des NRW-Sofortprogramms Innenstadt, so auch hier in Gütersloh: Leerstehende Ladenlokale werden durch die Kommunen vorübergehend angemietet, um neue Nutzungen zu etablieren. Ziel ist dabei eine zeitlich begrenzte Mietpreisdämpfung. Mieter werden also subventioniert, um den Markt zu eröffnen. Ich kenne Städte, die das machen: Meschede überlegt gerade, einen eigenen städtischen Verfügungsfonds weiterlaufen zu lassen. Bad Zwischenahn kauft konsequent Immobilien an, um zu entscheiden zu können, wer da reinkommt. Es macht Sinn, auch in Gütersloh mit den Akteuren grundsätzlich die Möglichkeiten mal durchzuspielen, damit da auch ein gewisser Drive ansteht. Wir planen als nächstes die Werkstattveranstaltung „Prototyping-Atelier“, um mit einem bunten Kreis von Akteuren der Innenstadt aus den Bereichen Kultur, Jugend, Eigentümerschaft, Gewerbetreibende, Gastronomen und so weiter mal zu klären: Was wären die Projekte, die ihr in Eigenregie auf kurzem Wege selbst umsetzen könntet?

 

Ist es schwierig, den Diskurs um die Zukunft der Innenstadt mit den vielen Beteiligten zu organisieren?

Gehle: Es ist jedenfalls komplex und man wird auch nie fertig. Aber in unserem Zentrenmanagement-Prozess treffen wir auf eine gute Resonanz bei den Gesprächsformaten, die wir anbieten. Die Frage ist immer: Wer bringt sich wie ein, wer übernimmt Projekte? Darum soll es in der zweiten Jahreshälfte noch einmal im Detail gehen, um die Zusammenarbeit des laufenden Prozesses zu verstetigen.

Ruhr: Wir haben den Anspruch, bei unseren Werkstattrunden einen Querschnitt aller Interessensgruppen dabei zu haben. Das gelingt uns recht gut, aber es gibt auch noch Potenzial: Gastronomie könnte zum Beispiel etwas präsenter dabei sein, um Ideen für temporäre Veranstaltungen zu diskutieren. Und wir brauchen mehr Kinder und Jugendliche, das wäre sehr positiv. In diesem Mai wollen wir übrigens eine Open-Call-Aktion für einen Ideenwettbewerb organisieren. Das ist ein Aufruf an die Öffentlichkeit, ganz eigene Ideen für eine zukunftsfähige, lebendige Innenstadt zu definieren. Jeder kann sich daran beteiligen. Es ist immer gut, wenn wir mit einer guten Idee direkt adressiert werden.

 

Das Ganze bedarf aber auch der ordnenden Hand, des zentralen Managements. Wie will sich die Stadt selbst hier aufstellen?

Gehle: Ein wichtiges Ergebnis der bisherigen Arbeit ist die Gründung einer Lenkungsgruppe für die Innenstadt im Rathaus. Also ein Format, wo sich die einzelnen Fachbereiche wie beispielsweise Kultur, Grünflächen, Umwelt und Stadtplanung auf- und miteinander abstimmen können. Ziel ist, die Aktivitäten in den Fachbereichen der Verwaltung miteinander zu verschneiden, um die Innenstadt voranzutreiben. Die Lenkungsgruppe wurde bereits konstituiert und kommt quartalsweise zusammen. Wir wollen eine effiziente Lenkung aller Aktivitäten in der Verwaltung und der wichtigen Player außerhalb des Rathauses – Gütersloh Marketing und conceptGT sind bereits jetzt Teil der Projektgruppe, die den Zentrenmanagement-Prozess begleitet.

 

Wie lange werden Sie die Stadt beim Aufbau eines Zentrumsmanagements begleiten, Frau Ruhr?

Ruhr: Der Vertrag läuft bis Oktober, bis dahin soll das Konzept für ein Zentrenmanagement entwickelt sein und in die Praxis umgesetzt werden können. In der Verstetigungsphase muss definiert sein, was zu tun ist und wer zukünftig welche Aufgaben zu übernehmen hat.

 

Nennen Sie bitte Begriffe, wie Sie sich Gütersloh in 10 Jahren idealerweise vorstellen!

Ruhr: Nachhaltig, grün, genussvoll, persönlich, pragmatisch. Ich wünschte mir auch eine Hands-on-Mentalität: die Erlaubnis zu haben, auch mal zu scheitern mit bestimmten Projekten.

Gehle: Mutig, kreativ und offen. Auch „vertraut“. Und selbstbewusst. Die Gütersloher Innenstadt wird von außen häufig besser bewertet als von den Güterslohern selbst. Schon daran sieht man, wie wichtig es ist, im Austausch darüber zu bleiben.

 

 

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