„Ihr tut mir echt leid!“

Autor: gt!nfo

14.07.2021

Serie

Moment mal!


Ansichten von Stefan Schneidt

 

Wer sind die Leidtragenden der Pandemie? Sind es die jungen Menschen? Mein Eindruck ist, dass heranwachsende Menschen frustriert sind, ihre Ziele verworfen haben und sich ungerecht von der Politik behandelt fühlen. Einige haben ihr Studium pausiert, sind lustlos und haben Aufmerksamkeitsprobleme. In den vergangenen Monaten habe ich einen Satz immer wieder gehört: „Stefan, ihr tut mir echt leid.“ Doch wie sieht es bei Kindern und Jugendlichen aus? Muss man Mitleid mit der Jugend haben?


Ein Interview mit Dr. Dr. med Meike Wördermann.


Frau Wördermann, können Sie sich und ihre Arbeit bitte vorstellen?

Ich bin Dr. Dr. med. Meike Wördermann und war ursprünglich Kinderärztin. Heute arbeite ich als Oberärztin der LWL-Tageskliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Gütersloh und Rheda-Wiedenbrück. An beiden Tageskliniken behandeln wir jeweils zehn Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren mit psychiatrischen Störungen. Die meisten Patienten bleiben drei Monate bei uns und werden anschließend ambulant behandelt. Wir bieten ihnen eine feste Tagesstruktur und haben eine eigene Klinikschule. In zwei Tageskliniken finden sie ganz unterschiedliche Therapieformen, wie die Einzeltherapie, Gruppentherapie und Soziotherapie. Zudem leisten wir Familienarbeit und führen unterstützende Gruppenangebote, wie Reiten, Musikmachen oder Gartenarbeit durch.“


Sind seit März 2020 bestimmte Krankheiten häufiger aufgetreten – und werden Sie diesbezüglich öfter kontaktiert?

„Viele haben das Gefühl, wichtige Dinge verpasst zu haben und einiges nicht mehr aufholen zu können. Die Copsy-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf aus dem vergangenen Jahr hat die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie untersucht. Die Studie hat schon damals gezeigt, dass Jugendliche deutlich weniger Sport treiben, ungesünder essen und mehr Zeit mit den Medien verbringen. Ebenso haben viele Kinder angegeben, dass sie Ess- und Einschlafprobleme haben, eine gedrücktere Stimmung empfinden und dass sowohl Bauch- als auch Kopfschmerzen zunahmen. Auch neue Corona-spezifische Ängste sind entstanden. So haben einige Patienten Angst vor Testungen, in Quarantäne zu müssen oder davor was passiert, wenn sich Familienangehörige anstecken.

Für uns kann ich noch nicht festmachen, ob bestimmte Krankheiten häufiger geworden sind. Viele Betroffene wenden sich zuerst an den Kinderarzt und werden dann an Kinder- und Jugendpsychiater weitergeleitet, was mit Wartezeiten verbunden ist. Wir hatten aber schon vor der Pandemie genug Arbeit und auch unsere Warteliste ist leider immer gut gefüllt.“


Verstärkt der Leistungsdruck in der Schule psychische Krankheiten? Und: Ist es richtig gewesen, dass man vor den Sommerferien noch schnell Klausuren geschrieben hat? 


„Ich war auch irritiert, dass man auf Teufel komm raus noch schnell eine Bewertung brauchte und deshalb Klausuren geschrieben hat. Die Schule ist nicht nur zum Lernen da, sondern auch wichtig für das Pflegen sozialer Kontakte. Aus Sicht der Kinder und Jugendlichen ist in den vergangenen Monaten sicherlich ganz viel Bildung verloren gegangen, die man nicht mit Klausuren so eben mal aufarbeiten kann. Dafür sollten auch die sechs Wochen Sommerferien nicht genutzt werden. Aktuell muss die Priorität darauf liegen, dass sich Jugendliche viel bewegen, an die frische Luft gehen und die Zeit mit anderen verbringen.

Ein Phänomen, das wir fast jedes Jahr feststellen ist, dass sich in den Sommerferien die Stimmung einiger Patienten der Wartelisten verbessert, weil der tägliche Druck entfällt. Es ist zwar nicht ursächlich, dass der Schuldruck diese Patienten krank gemacht hat, aber wenn man sowieso schon von der Stimmung beeinträchtigt ist und sich von der Schule unter Druck gesetzt fühlt, kann ich mir vorstellen, dass das die Situation nicht verbessert.“


Müssen wir das breiter in den Bildungseinrichtungen thematisieren?


„Es ist sicherlich hilfreich, wenn Aufklärung in Bildungseinrichtungen stattfindet. Grundsätzlich ist es von der Akzeptanz in den Schulen einfacher, wenn die Mitschüler wissen, worum es geht und Verständnis haben. Ich bin ein großer Fan davon, wenn Patienten ihr Krankheitsbild verstehen und sich damit auch gut auskennen. Es ist für Außenstehende wesentlich einfacher, wenn ihnen die Probleme Betroffener erklärt werden. Ich stelle fest, dass einige Patienten ihren Aufenthalt in der Tagesklinik verschweigen. Dabei sind die Reaktionen der Mitschüler oftmals positiv und gelegentlich kommt die Rückmeldung, dass einige selbst schon einmal Hilfe in Anspruch genommen haben. Psychische Krankheiten werden immer noch tabuisiert und zu selten thematisiert.“ 


Ist also die Akzeptanz gegenüber Erkrankten gestiegen?


Ich merke, dass die Betroffenen die bei uns sind, total davon profitieren, wenn sie erkennen, dass auch andere Sorgen und Probleme haben. In diesem Umfeld fühlen sie sich also akzeptiert und wertgeschätzt. Auch ist mir aufgefallen, dass in der Gesellschaft selbstverletzendes Verhalten stark gestiegen ist und oftmals kein Entsetzen auslöst. Dadurch schließe ich, dass das Wissen darum, dass es psychisch Erkrankte gibt, gestiegen ist.“


LWL Klinikum

Buxelstraße 50

33334 Gütersloh

Telefon 05241 5246700

Mail kjp-tagesklinik.guetersloh@lwl.org

Bei ambulanten Anfragen: kjp-ambulanz.guetersloh@lwl.org


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