Zukunft der Stadt – Stadt der Zukunft

Autor: gt!nfo

Fotos: Illustration: Adobe Stock

25.08.2022

Die Welt und mit ihr die Städte befinden sich im radikalen Wandel. Die Fragen nach der Zukunft sind längst gestellt, wir müssen jetzt handeln.


Leisten wir uns einen Blick in die Vergangenheit: Im Mittelalter waren die Städte die Zentren der Macht. Dort ballte sich das bürgerliche, das kirchliche und das adelige Leben. Die Stadtstruktur wurde geprägt von der Mitte mit Kirchen und Markplatz, Handwerk und Wohnen waren noch nicht getrennt. Eine geordnete Welt, dennoch keine Idylle. Die Altstädte von Bamberg oder Quedlinburg täuschen. Das ist nicht die Altstadt des Mittelalters, sondern das herausgeputzte Abbild einer alten Stadt mit allem heute als selbstverständlich geltendem Komfort. Lief früher das Abwasser einfach über die Straße, so genießen wir heute eine geordnete Kanalisation, Telefon und Zentralheizung.


So wie sich die Städte bis heute radikal gewandelt haben, so können wir also mit der romantischen Sehnsucht nach dem Mittelalter keine moderne Stadt mehr führen. So wie Bamberg als authentische Altstadt missverstanden wird, so besteht häufig auch eine verklärte Sicht auf das Mittelalter, das so nie war.


Blicken wir in die jüngere Vergangenheit: In den 1920er-Jahren, einer gewaltigen Umbruchzeit, gab es eine neue Architektur, die des strengen Bauhaues, und es gab neue Ideen von „Stadt“. Die Stadtoberen waren sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst und investierten massiv in den Wohnungsbau. Der folgende Nationalsozialismus kannte nur eines: klotzige Bauten im Sinne eines missverstandenen Germanentums. Die 1950er-Jahre reagierten prompt darauf und ersetzten die zerstörten Städte durch helle, farbige und mit viel Grün durchsetzte Stadtquartiere. Das Auto stand in der Hierarchie ganz oben. Häufig wurden mit vermeintlich erforderlichen Durchgangsstraßen genau die Viertel zerstört, die der Krieg verschont hatte. Später, beginnend in den 1970er-Jahren, erkannte man viele Fehler und sah den Reiz der verbliebenen alten Substanz. Der Denkmalschutz nahm an Wert zu, Altbauten wurden bald als schick empfunden. Zuerst von Studierenden wegen der preiswerten Mieten, dann von ihren Professorinnen und Professoren, die prompt für kräftig ansteigende Preise in den renovierten Stuck-Altbauten sorgten.


Nun, wo stehen wir heute? Was können wir aus der Vergangenheit lernen? Welche Ziele haben wir für unsere Stadt Gütersloh, und welche Impulse können wir ihr geben? Klar ist, weder die Romantik des Mittelalters noch der nachfolgenden Epochen können uns ausreichende Antworten liefern. Wir können zwar aus Fehlern lernen, immerhin eine erste Hilfe, aber das reicht lange nicht, um zu erkennen, wie unsere Stadt einmal aussehen soll. Und, wir sind mit vielen Problemen konfrontiert, die auf der ganzen Welt gelten und leider nicht lokal gelöst werden können.


Das hindert uns aber nicht daran, für diese Stadt nach neuen Zielen zu suchen. Glücklicherweise hat Gütersloh beste Voraussetzungen, ihre Stärken für eine lebenswerte Gemeinschaft zu nutzen. Die öffentlichen Finanzen sind stabil, der private Wohlstand erheblich, die Quartiere übersichtlich und ohne wirkliche soziale Konflikte. Gütersloh gilt im Städte-Ranking als „kleine Großstadt“. Es ist alles da, was eine Stadt braucht: Ein Theater mit buntem Programm, ein großes Kino, ein Programmkino, alle Schulformen, eine Fachhochschule, eine quirlige Kulturszene, ein ausgeprägtes ehrenamtliches Engagement, große Parks, ein sauberer Bahnhof mit ICE-Halt; die Liste ließe sich lange weiterführen.


Auf diese Basis lässt sich wunderbar bauen: Gütersloh muss eine Stadt werden, die einen klaren und von Hoffnungen geprägten Blick in die Zukunft hat. Es gibt kein Erkenntnisdefizit. Wir wissen, was wir tun müssen, es geht also „nur“ um die Umsetzung.


Was wir in Gütersloh alles brauchen werden

Wir werden in Gütersloh eine andere Mobilität brauchen. Der Ersatz des Verbrennungsmotors ist längst eingeleitet. Wir brauchen einen preiswerten radikal verbesserten öffentlichen Verkehr, wir brauchen mehr Platz für den nicht-motorisierten Verkehr und für den Fußgänger. In absehbarer Zeit – auch wenn dies noch all zu sehr nach Science-Fiction klingt – werden wir autonome Fahrzeuge nutzen, die ein eigenes Fahrzeug (und den Stellplatz dafür) überflüssig machen.


Wir werden in Gütersloh andere Wohnformen brauchen. Der Wunsch nach einem Eigenheim ist verständlich und nach wie vor ungebrochen, wenn auch immer weniger bezahlbar. Aber er braucht Fläche – sehr viel Fläche. Dichtere und generationenübergreifende Wohnformen sparen nicht nur Fläche, sondern erzeugen auch ein anderes Miteinander. Die alte Industriebrache der ehemaligen Seidenweberei Bartels an der Berliner Straße mag hier als Beispiel gelten.


Wir werden in Gütersloh dem Klimawandel entgegnen müssen. Eine – ja fast radikale – Begrünung der bebauten Bereiche muss die Fehler der Vergangenheit kompensieren. Für eine echte auch messbare Verbesserung des Klimas muss massiv investiert werden, ein bisschen Fassadenbegrünung reicht nicht aus. Wir brauchen Grün – sehr viel Grün.


Wir werden Gütersloh als digitale Stadt entwickeln müssen. Im digitalen Wandel stecken Risiken, natürlich, aber auch riesige Potenziale. Eine massive Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung spart Zeit und sichert den Gütersloher Bürgerinnen und Bürgern einen großen Komfort, eine intelligente stadtübergreifende Ampelsteuerung vermeidet überflüssiges Warten, vernetzte Buchungssysteme aller öffentlichen und privaten Einrichtungen erleichtern das kulturelle Leben, es gibt fast keinen Bereich des Lebens, der nicht durch eine nachdrückliche Digitalisierung an Wert gewinnt.


Um all das zu erreichen, brauchen wir einen positiven, von Hoffnung geprägten Blick in die Zukunft, wir brauchen frische, junge Ideen, eine qualifizierte Stadtführung und – wir brauchen Spaß an der Zukunft.

Im Gespräch

Dr. Michael Zirbel | Stadtplaner

Dr. Michael Zirbel | Stadtplaner

Leitung der Stadtplanung Gütersloh bis 2019 Vorsitzender von Forum Baukultur OWL und der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur, Landesverband Westfalen

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