„Jetzt was ändern, nicht erst morgen“

Heiner Wichelmann

Autor: Heiner Wichelmann

Fotos: Sebastian Krysiak

26.08.2021

Politiknachwuchs über die Aufgaben der Politik nach der Wahl


Immer spannender wird der Ausgang der Bundestagswahl 2021 am 26. September. Alles ist möglich, vielleicht entscheiden noch Ereignisse in den letzten Tagen vor der Wahl ihren Ausgang. Viele sind noch unentschlossen, andere haben sich schon in ganz jungen Jahren für ein Engagement in einer politischen Partei entschlossen. gt!nfo lud vier JungpolitikerInnen aus CDU, SPD, FDP und Grünen aus dem Kreis Gütersloh zu einem offenen Gespräch mit Blick auf die Bundestagswahl ein. Es galt das freie Wort, die Redaktion beschränkte sich auf Stichworte. Wie also denkt Parteienjugend heute? Manche Antwort überrascht, andere decken sich mit der jeweiligen Parteilinie. Im Folgenden einige Auszüge aus der Gesprächsrunde.





Die großen Parteien haben in den vergangenen zehn Jahren massiv an Mitgliedern verloren, mit Ausnahme der Grünen. Wer sich engagieren will, tut dies in der Regel in Bürgerinitiativen, NGOs oder unterstützt Friday for future. Ihr seid den traditionellen Weg gegangen – warum?


Paulina Baumhüter: Ich habe mich schon sehr früh mit politischer Theorie auseinandergesetzt, Paul Feyerabend und Nietzsche gelesen. Das hat mich zu meiner Überzeugung geführt, dass wir für die größtmögliche Freiheit des Individuums sorgen müssen – am besten von innen heraus, also innerhalb des staatlichen Konstrukts. Ich hatte mit 14 zwar noch wenig konkrete Vorstellungen, aber für mich war klar, dass die FDP die einzig relevante liberale Partei in Deutschland ist, die meiner Vorstellung von Liberalismus nahekommt, wobei ich mit vielem nicht einverstanden bin, aber dafür bin ich auch bekannt.

Finn-Ole Peters: Ich habe mich immer schon für Politik interessiert. Meckern kann jeder, ich wollte gestalten, habe mich dann mit 13 Jahren umgeschaut. Damals waren die Grünen noch nicht so weit wie heute und die Jusos, das war nicht so meine Welt. Ich kannte einige in der CDU, zum Beispiel meinen Nachbarn Heiner Kollmeyer und bin dann nach einem ersten Besuch einer Veranstaltung eingetreten. Die CDU war die Partei, die meinen Überzeugungen am nächsten kam.


Würdest Du Dich als konservativ bezeichnen?


Finn-Ole Peters: Im Sinne des Weitertragens des Feuers und nicht des Bewachens der Asche: ja.

Jonas Borgmeier: In manchen Punkten bin ich das auch als Grüner – Stichwort Bewahrung der Schöpfung. Auch ich habe mich schon als kleiner Junge für Politik interessiert, habe zum Beispiel gerne zu Hause die Tagesschau nachgespielt. Aufgewachsen bin ich in einem ländlichen, eher konservativen Umfeld. Mein politischer Ansatz war von Beginn an ein ganzheitlicher, was mich von der FDP klar trennt. Deren Freiheitsbegriff beschränkt sich zumeist auf die Freiheit des Stärkeren, das gefällt mir nicht. Mich hat das Grünen-Programm bei der Europawahl überzeugt; sie wollen Europa weiterentwickeln, denken nach vorne. Sie sind die einzigen, die klare Antworten haben auf die Herausforderung, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten und gleichzeitig eine gerechte Gesellschaft aufzubauen, in der wirklich jeder eine Chance hat.

Rieke Vartmann: Ich war im Gymnasium in der SVM aktiv, weil es immer schon mein Bestreben war, etwas verändern zu wollen, wenn mich irgendwas aufregte. In meinem Alter gibt es nicht so viele, die da mitmachen. Als sich die Jusos damals in Harsewinkel neu gründeten – ich kannte einige von ihnen –, wurde ich gleich gefragt, ob ich nicht in die SPD eintreten wollte. Für mich war das klar, aber ich habe mich erst danach mit Fragen von Freiheit und Gerechtigkeit beschäftigt. Meine Eltern sind Arbeiter, das passte alles. Mein Herz ist rot, da schlägt das SPD-Herz ganz intensiv.


Wo seht ihr die Problemlösungskompetenzen eurer Partei? Gefühlt stehen wir vor einer Zeitenwende, die großen Fragen der Zukunftsgestaltung müssen ja gerade euch interessieren: Klima, Virus, Großmächte, Europa, Migration, soziale Ungerechtigkeiten – alles besorgniserregend. Was fühlt ihr da, ist da auch Wut?


Rieke Vartmann: Auf jeden Fall. Corona hat die Probleme der Zeit aufgedeckt. Auch, dass Armut immer noch ein großes Problem ist. Deswegen setze ich mich sehr für den Ansatz der SPD ein: ein Bürgergeld einzuführen, den Mindestlohn zu erhöhen, für sichere Renten auch für unsere Zukunft zu sorgen und vieles mehr.

Jonas Borgmeier: Es geht heute wirklich krass um existentielle Fragen. Die Ahrtalüberschwemmung war nur durch Vernachlässigung der Klimapolitik möglich. Seit 40 Jahren sind die Probleme bekannt, seit 20 Jahren wird bereits alles sichtbar: Gletscher schmelzen, Wälder brennen, Überschwemmungen häufen sich. Und noch immer gibt es Politiker, die sich fragen, woher dieses Klimathema kommt. Der Druck zum Handeln wurde von außen entfacht, das ist gut so. Wir brauchen die Zivilgesellschaft, die auf die Straße geht, aber auch die Politik, die gestalten will. Da fühle ich mich persönlich besser aufgehoben. Der jüngste IPCC-Bericht sagt, wir können das Pariser Klimaziel der Erwärmungsbegrenzung von 1,5 Grad noch erreichen, aber das muss in den kommenden acht Jahren passieren. Und da sind die Grünen für mich die einzig glaubwürdige Partei, die das jetzt auch angeht, die konkrete Konzepte vorlegt. Es kann nicht mehr so bleiben, wie es ist! Wir stehen vor einer Schicksalswahl, ganz klar. Wir brauchen jetzt einen Industriepakt und einen Klimabonus-Fonds als sozialen Ausgleich für Einkommensschwache. Wir wollen mit Innovationskraft das Land hochfahren, zeigen, dass wir mit dem klimaneutralen Staat gleichzeitig auch unsere Demokratie und Gesellschaftsform stärken können. Übrigens ist die Wirtschaft längst schon weiter als die Politik.

Finn-Ole Peters: Aus meiner Sicht ist man bei den Grünen nicht so gut aufgehoben, wenn man in einer Zweizimmerwohnung lebt und sich beispielsweise die teuren Bioprodukte leisten soll. Der Klimaschutz muss sozial- und wirtschaftsverträglich gestaltet werden. Gerade da wird die Union mit Sicherheit eine gute Arbeit leisten.

Jonas Borgmeier: Deswegen werben wir ja für die Idee eines Klimabonus-Fonds, um alle mitzunehmen. Die Preise zu erhöhen ohne Unterstützung, wie bei anderen Parteien, das kann es nicht sein.

Paulina Baumhüter: Für mich ist das zu viel Regulierung durch den Staat. Ich bin für einen harten CO2-Deckel mit Zertifikatehandel, darunter für eine harte Marktwirtschaft. Wenn Europa als Großstaat das hinkriegt, kann man dem nicht mehr ausweichen. Das wäre das Beste, was man klimapolitisch tun kann. Dazu noch: einen unbürokratischen, effektiven, schlankeren Staat schaffen. Liberale stehen grundsätzlich für möglichst wenige Vorschriften.

Jonas Borgmeier: Zertifikatehandel halte ich für richtig, aber das wird in den kommenden acht Jahren auf europäischer Ebene nicht hinzubekommen sein. Wir müssen sofort handeln, das ist das Problem! Es ist leider alles vorbei, bevor wir diesen europäischen Staat idealtypisch haben.


Was müsste im Falle einer Regierungsverantwortung eurer Partei sofort umgesetzt werden?


Finn-Ole Peters: Wir müssen als erstes die Coronafrage in den Griff bekommen durch weitere Impfprogramme, ohne dabei der Wirtschaft zu schaden. Das heißt auch: keine Steuererhöhungen und möglichst keine weiteren Schulden aufnehmen. Und dann müssen wir uns um das Klima kümmern.

Rieke Vartmann: Die vielen sozialen Probleme, die die Corona-Krise noch verschärft hat, fordern eine klare Antwort. Wir müssen schnell für eine faire Steuerverteilung sorgen. Es darf nicht sein, dass die Mittelschicht ausgebeutet wird. Die Reichen werden zu sehr geschont, dabei wären manche von ihnen durchaus mit einer höheren Besteuerung einverstanden. Ich würde eine Vermögenssteuer wieder einführen und Änderungen bei der Erbschaftssteuer vornehmen. Wenn ich zwei Millionen Euro in bar erbe, sollte ich entsprechend abgeben. Das ist gerecht gegenüber der Gesellschaft.

Paulina Baumhüter: Ich bin gegen dieses Moralisierende des Staates. Wenn er sich den Absolutismus auf die Gerechtigkeit pachtet, finde ich das falsch.

Jonas Borgmeier: Wenn du erbst, ist immer die Frage, ob das gerecht ist. Grundsatz muss doch sein, dass jeder in dieser Gesellschaft die gleiche Chance haben soll. Im Übrigen geht es nicht darum, Unternehmenssubstanz zu besteuern, also Unternehmen zu gefährden.

Finn-Ole Peters: Was auch wichtig ist: Wir brauchen eine Bildungsreform, wir müssen das alles anders denken. Bei der Vermögenssteuer denke ich, dass sie Motivation nimmt, etwas zu schaffen, vor allem, wenn man vererben will.

Rieke Vartmann: Wenn der Staat über die Steuer Vermögen entzieht, macht er es doch, weil er für die Gesellschaft in die Zukunft investieren will. Das ist ja auch eine Motivation für reiche Menschen. Ich bin für die Steuerumverteilung. Bist du denn für eine Zweiklassengesellschaft?

Finn-Ole Peters: Natürlich nicht. Zum Beispiel werden zurzeit Menschen mit finanziellem Vorteil in unserem Bildungssystem bevorzugt, was ich nicht gut finde.

Jonas Borgmeier: Wer wie die CDU Steuern senken will, um Wachstum zu fördern, ohne dabei Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften zu setzen und auch noch die schwarze Null bei der Schuldenaufnahme will, handelt unseriös. Die schwarze Null, das ist in der Realität der Zustand unserer Schultoiletten. Wofür wir von Beginn an sorgen müssen in einer neuen Regierung, ist die Digitalisierung Deutschlands in Verbindung mit grünem Wachstum. Die Solarwirtschaft wieder zurückgefahren zu haben, war der falsche Weg.

Finn-Ole Peters: CDU und auch die FDP haben sicherlich beim Klimathema zu lange geschlafen, vielleicht war das auch eine Generationsfrage. Heute ist klar: Wir müssen auf Technologie setzen, auf eine starke Solarenergie, auf Partnerschaften für Wasserkraft, auf europäischen Energie-Austausch, auf Wasserstoff, Wellenkraftwerke und so weiter. Hauptsache: anpacken, machen!

Paulina Baumhüter: Nein, anders: einfach machen lassen! Der Staat soll sich möglichst aus allem raushalten. Er ist nur dazu da, Rahmenbedingungen zu setzen.


Nun kann aber absolutes freies Schalten und Walten der marktwirtschaftlichen Kräfte zu großen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen führen. Davor müssen die Schwächeren geschützt werden. Und ohne Staat kein Kohleausstieg, keine verbindliche Photovoltaik auf den Dächern der Neubauten. Richtig?


Paulina Baumhüter: Auf keinen Fall. Der Staat hat sich da rauszuhalten. Die Menschen müssen frei bleiben. Das regelt alles der Markt.

Jonas Borgmeier: Freiheit heißt für mich vor allem: Freiheit zu etwas. Zur Bildung, zur gesellschaftlichen Teilhabe. Zur Wertegemeinschaft. Dafür brauchen wir Strukturen und nicht: Alles weg! Der Staat kann zum Beispiel dafür sorgen, dass die externen Kosten wie die Umweltkosten mit eingepreist werden. Und dass die Oma mehr Geld für die Wärmedämmung bekommt, wenn die Rente nicht reicht.

Rieke Vartmann: Es ist die Aufgabe des Staates, für das Allgemeinwohl der Menschen zu sorgen. Man kann die Gesellschaft nicht dem Markt überlassen! Sozialschwache haben ein Problem, teurere nachhaltige Produkte zu konsumieren. Hier muss regulierend eingegriffen werden. Wir müssen die besseren Produkte attraktiver machen. Wir müssen auch dafür sorgen, dass zum Beispiel die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie verbessert werden. Das geht nur über staatliche verbindliche Normen.

Jonas Borgmeier: Tatsache ist: Die kleinen Bauernbetriebe gehen kaputt, weil die Großagrarbetriebe unterstützt werden, die die Umwelt verpesten.

Glaubt ihr an die Zukunft oder gibt’s da auch Angst?

Rieke Vartmann: Ich bin immer sehr optimistisch. Ich will etwas verändern, die Welt ein bisschen gerechter machen, egal wo: Klima, Steuern, Soziales, Gesundheit, Bildung. Aber ich weiß auch, dass es schwer ist. Die Leute gehen ja zu Recht auf die Straße, für was auch immer. Manche Kritik an den Coronamaßnahmen zum Beispiel kann ich gut nachvollziehen. Ich glaube auch, dass es in Zukunft noch mehr von Protesten aller Art geben wird, was ich aber auch gut finde, weil so die Meinung der Gesellschaft besser abgebildet wird. Schlimm wird’s, wenn sich die Meinung durchsetzt: „Meine eine Stimme bringt doch nichts“. Da stellt sich die Frage: Wie kommen wir an diese Leute ran?

Jonas Borgmeier: Zukunftsangst ist real, aber sie gab es früher auch schon, wenn ich an die Anti-Atom-Bewegung denke. Da fragten sich viele: Soll ich noch Kinder in die Welt setzen? Unsere Aufgabe heute ist klar: Wie kriegen wir eine positive, aktive Bewegung zur Klimawende hin? Ich bin sehr dafür, dass wir uns auf den Weg machen, es anpacken. Es muss sich jetzt was ändern, nicht erst morgen. Ich bin da in einer kampfesbereiten Stimmung. Ohne Klimaschutz brauchen wir über andere Themen nämlich nicht reden. Ich hoffe, dass wir es nach der Wahl hinkriegen, gemeinsam eine gute Politik für ein klimaneutrales Deutschland zu entwickeln.

Finn-Ole Peters: Meine Grundstimmung ist: Wir werden das schaffen. Wir werden für Klimaneutralität sorgen und gleichzeitig den Wohlstand sichern. davon bin ich überzeugt.

Paulina Baumhüter: Die FDP hat ein komplett ausformuliertes klimapolitisches Programm. Wir stehen zu dem Paris-Ziel von 1,5 Prozent. Zukunftsangst nehme ich in unserer Partei so nicht wahr. Wir haben eher Angst, unsere Freiheit einschränken zu müssen.

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