Erinnerung als Verantwortung

Autor: gt!nfo

Fotos: Vera Corsmeyer

26.01.2023

Interview mit Autor Jürgen Zimmermann

 

In der Buchhandlung Markus Edition ist ein neuer Titel über regionale Geschichte in Gütersloh während des 2.Weltkiregs erschienen. Der Gütersloher Autor Jürgen Zimmermann hat dieses bemerkenswerte Buch über die Geschichten und Geschichte der Zwangsarbeit in Gütersloh von 1939 bis 1945 verfasst. Es ist der gelungene Versuch, den Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern ein Gesicht zu geben, ihr Leben und ihre Erinnerungen auch für die Zukunft lebendig zu halten, die Fakten zu nennen und so aufzuklären. Vorrangig mit der Methode der Oral History, die auf dem Sprechenlassen von Zeitzeugen basiert, entstehen beeindruckende Porträts der Betroffenen und ihrer Zeit,

Hier erzählen die letzten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und zahlreiche Dokumente von Menschen, deren Jugend während der rücksichtslosen Zwangsarbeitereinsätze gestohlen wurde. Zwangsarbeit in heimischen Firmen und in der Landwirtschaft gehörte zum Alltag jener Zeit. Ein Verbrechen, das mitten in der Gesellschaft, mitten in Gütersloh, stattfand und das angesichts der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen umso mahnender ist. Was als Schülerinnen- und Schüler-Projekt in den 1990er-Jahren begann, wurde durch Recherchen und durch die aktuelle Aufarbeitung zahlreicher Einzelschicksale ergänzt und aktualisiert.

gt!nfo sprach mit Jürgen Zimmermann über sein Buch.


Warum haben Sie die „Oral History“-Methode als Erinnerungsform für das Zwangsarbeiter- Innenbuch gewählt?

Historiker sind in der Regel auf niedergeschriebene Quellen angewiesen. Da aber nur ein begrenzter Personenkreis solche Spuren hinterlässt, besteht die Gefahr, dass Menschen außerhalb dieses Personenkreises von der Nachwelt unzureichend oder gar nicht berücksichtigt werden. Dabei handelt es sich vor allem um Angehörige einer Schicht, die in der Regel Opfer waren und deren Stimme nie gehört wurde.

 

Welche prägenden Erlebnisse hatten Sie bei der Recherche zu diesem Buch?

Einmal die anfängliche Ablehnung seitens größerer Firmen. Dann die Dankbarkeit der ZwangsarbeiterInnen, dass sich ein Nachgeborener aus dem Land der Täter nach so vielen Jahren um ihr Schicksal zwischen 1939 und 1945 bemüht. Und schließlich Belege, dass es trotz dieses unmenschlichen Regimes auch Raum gab, ausgesprochen menschlich zu handeln.

 

Die Aktenlage war sicher sehr dünn, wie ist es Ihnen gelungen, mehr zu erfahren?

Zunächst musste ich über Opferverbände in der ehemaligen Sowjetunion, Polen, Frankreich und den Niederlanden Adressen aufspüren, die in einer Verbindung zu Gütersloh standen. So kam es in der Folge zu spannenden Briefkontakten. Während der Begegnungswochen hier vor Ort hatte ich dann Gelegenheit Interviews zu führen und Fotos zu scannen. Gleichzeitig stöberte ich in vielen Archiven nach schriftlichen Unterlagen.

 

Im Buch schildern Sie die Zwangsarbeit in fünf bis sechs Gütersloher Firmen. Waren nicht viel mehr Betriebe betroffen?

Es gab eigentlich keine Firma, keinen Kleinbetrieb und keinen Bauernhof, der keinen Kontakt zu einem der mehr als 3.800 ZwangsarbeiterInnen hatte. Aufgrud der Umfänglichkeit des Buches musste ich mich auf beispielgebende Firmen und Einzelschicksale beschränken.

 

Gabe es schon Rückmeldungen aus den im Buch genannten Firmen?

 

Nun, das Buch ist ganz neu auf dem Markt. Die Firmen Miele und Husemann haben bereits Kontakt mit mir aufgenommen und sind an einem Dialog interessiert.

 

Haben Sie noch Kontakt zu den Familien der ZwangsarbeiterInnen, zum Beispiel aus der Ukraine?

Die letzten Briefe der Zeitzeugen erhielt ich 2007. Bewegend blieben für diesen Personenkreis die Begegnungen in Gütersloh. Ich hoffe nicht, dass die nun über hundertjährigen UkrainerInnen nach 1941 einen zweiten traumatisierenden Angriffskrieg erleben müssen.

 

„Erinnerung als Verantwortung“ heißt Ihr Buch. Welchen Stellenwert hat Erinnerungskultur für eine sich ständig verändernde Stadt? Haben wir genügend Formate, die eine solche Kultur in die Mitte der Bevölkerung befördern?

Das sind eigentlich zwei Fragen. Zum einen: Ohne Erinnerungskultur kann eine Stadt wie die unsere keine Identität ausbilden. Ihr fehlt die Entwicklungsvergegenwärtigung! Deshalb entsteht ja bis zum Stadtjubiläum 2025 der zweite Band der Stadtgeschichte.

Zum anderen sehe ich schon einige Formate wachsen, die Geschichte in verständlicher Form nah an die Einwohner adressieren können: Zum Beispiel die Geschichtswerkstatt und das Erzählcafé. Eine Zeit, die nach wie vor kaum aufgearbeitet wurde und auch im neuen Geschichtsband keinen Schwerpunkt bildet, ist die Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945. Dazu ist mein Buch ein erster Aufschlag.

 

Das Buch ist in der Buchhandlung Markus erhältlich sowie über alle Buchhandlungen zu beziehen (978-3-910326-42-2, 20 Euro)

 

 

Autor Jürgen Zimmermann und Buchhändlerin und Herausgeberin Elke Corsmeyer präsentieren das Buch über die Zwangsarbeit in Gütersloh.


Foto: Vera Corsmeyer

 

 

Unsere Website verwendet Cookies. Bleibst Du weiter auf unserer Website, scheinst Du nicht nur von der Seite begeistert zu sein, sondern stimmst auch der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen findest Du hier