Das Dilemma unserer Zeit

Autor: gt!nfo

Fotos: Stefan Scheidt

03.11.2022


Moment mal!


Von Stefan Schneidt

 

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine versuchen wir, die Handelsbeziehungen zu Russland zu reduzieren – zurecht. Doch hatten die Annexion der Krim und die Bomben in Syrien vor einigen Jahren nicht schon gereicht? Sollten wir nicht einmal grundsätzlich hinterfragen, mit wem wir Handel betreiben – und welche Veranstaltungen wir besuchen und anschauen?

 

Volksrepublik China

Im Februar 2022 fanden die Olympischen Winterspiele in China statt – trotz Todesstrafe, Folter, Umerziehungslagern, Einschränkung der Meinungsfreiheit, Medien- und Internetzensur, Unterdrückung ethnischer Minderheiten und dem brutalen Umgang mit Protesten der Hongkonger Demokratiebewegung. Und die Handelsbeziehungen mit Deutschland? Sie blühen seit Jahren: Die Volksrepublik China ist seit sieben Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner.

 

Saudi-Arabien

Erst im Oktober wurde verkündet, dass die Asien-Winterspiele 2029 in Saudi-Arabien stattfinden werden. Ja, Winterspiele in Saudi-Arabien. Dabei ist der Alltag vor Ort bestimmt von digitaler Überwachung, Einschränkungen der Reise-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und Hinrichtungen. Während 2021 65 Menschen hingerichtet wurden, gaben die Behörden am 13. März 2022 bekannt, dass an einem einzigen Tag 81 Menschen ermordet wurden. 41 der Hingerichteten waren Angehörige der schiitischen Minderheit. 2019 schrieb die heutige Außenministerin Annalena Baerbock: „Saudi-Arabien beteiligt sich am Jemen-Krieg und tritt Menschenrechte mit Füßen. Rüstungsexportstopp an Saudi-Arabien muss weiter gelten.“ Heute steht fest: Die Bundesregierung bricht den Koalitionsvertrag und Deutschland genehmigt Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, offenbar in der Hoffnung auf Öl und Wasserstoff. Kurze Zeit später werden drei saudische Stammesangehörige zum Tode verurteilt, weil sie sich geweigert hatten, ihre Häuser zu verlassen um Platz für die Mega-Stadt „The Line“ zu machen.

 

Alles, aber nicht Fair Play

In einigen Tagen beginnt die FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Erst im Mai verkündeten Deutschland und Katar eine Energiepartnerschaft. Die Weltmeisterschaft ist eine Sportveranstaltung, bei der am Ende die Frage offen bleibt, wie viele Menschen pro Minute gestorben sind. Zeitgleich findet in Ägypten eine der wichtigsten politischen Veranstaltung statt, die Weltklimakonferenz. In einem Land, das neben vielen anderen kritischen Punkten zusätzlich Platz drei der Länder mit der höchsten Exekutionsrate belegt. Wer noch nicht mit dem Austragungsort in diesem Jahr zufrieden ist, der wird 2023 mit den Vereinigten Arabischen Emiraten belohnt. Es könnte nicht absurder sein.

Ich habe bei politischen Veranstaltungen Verständnis für die Menschen, die dort hinreisen, denn Druck aufrechterhalten und die Missstände, soweit es möglich ist, anprangern. Immerhin sind die internationalen Bündnisse und Konferenzen der einzige Weg um das 1,5-Grad-Ziel noch einzuhalten. 

 

Schlagen die wirtschaftlichen Notwendigkeiten die moralischen?

Doch wie gehen wir damit um, dass immer mehr Veranstaltungen in autoritäreren Ländern ausgetragen werden? Nähern wir uns damit an und leisten somit unseren Beitrag, dass es in diesen Ländern besser, eventuell sogar demokratischer zugeht? Ich glaube nicht. Das Beispiel Olympia hat gezeigt, dass China die Olympische Bühne für die politische Propaganda benutzt hat.

Wir erleben, dass die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit und in der Gegenwart an seine Grenzen stößt, explizit wenn wir an fossilen Energieträgern festhalten. Die Lieferanten fossiler Energieträger sind meistens alles andere als Freunde der Demokratie.

Wir können nicht Gewalt auf der einen Seite sanktionieren und auf der anderen Seite tolerieren. Die Welt wird nicht friedlicher und die Außen- und Wirtschaftspolitik nicht leichter, wenn man immer wieder vom Wertekompass abrückt, mit zweierlei Maß regiert und reagiert. Die Antwort auf Menschenrechtsverletzungen darf niemals Schweigen und genüsslicher Handel sein, sondern viel mehr eine geschlossene Europäische Union, die zügig aus den Fehlern der Vergangenheit lernt und alle Abhängigkeiten von autoritären Ländern beseitigt.

 

Was ist Ihre Meinung? Schreiben Sie uns! Mit etwas Glück schafft es Ihr Leserbrief in die nächste Ausgabe.

stefan@schneidt.de

Postadresse einfügen?

Unsere Website verwendet Cookies. Bleibst Du weiter auf unserer Website, scheinst Du nicht nur von der Seite begeistert zu sein, sondern stimmst auch der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen findest Du hier