Erinnern für die Zukunft

Autor: gt!nfo

Fotos: Thorsten Wagner-Conert

02.03.2022

Ansichten von Julia Kuklik




 

Denkt man an Archive, entstehen sofort klischeehafte Bilder, die ich hier nicht reproduzieren möchte, denn sie können bereits bei einem ersten Besuch bei uns im Stadtarchiv Gütersloh widerlegt werden. Archive sind modern, digital und in Deutschland vor allem eines: öffentlich! Jede interessierte Person darf im Stadtarchiv recherchieren, forschen, lernen – kostenlos und unverbindlich. Und das ist gut so! So wird das Stadtarchiv zu einer unverzichtbaren Einrichtung unseres demokratischen Gemeinwesens: Es gewährleistet Transparenz im Verwaltungshandeln und gibt dem Einzelnen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Denn das im Archiv aufbewahrte Schriftgut bietet jeder Generation aufs Neue die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild der Vergangenheit zu machen und damit in der Gegenwart Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Um aus der Geschichte für die Nachwelt zu lernen, um Muster (wieder) zu erkennen, ist die Arbeit mit den Archiv-Quellen unabdingbar und nötig.

 

Teil des kollektiven Gedächtnisses werden

Erinnern bedeutet, nicht zu vergessen. Es ist beeindruckend leicht, sich im Alltag n i c h t  mit unserer Vergangenheit zu beschäftigen. Umso wichtiger ist es gerade in der heutigen Zeit, in der Mahnmale als „Denkmäler der Schande“ bezeichnet werden, nicht zu vergessen. Denn Vergessen bedeutet, sich mit dem Geschehenen abzufinden und die Lehren daraus abzulehnen. Erst unsere Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, zu reflektieren und uns zu erinnern, ermöglicht es uns, ein kollektives Gedächtnis zu entwickeln. Da Erinnerungen dazu neigen, zu verklären und zu verschwimmen, ist es aber auch unbedingt notwendig, sich auf die „harten Fakten“ in Form der Archivalien zu beziehen. Gerade in den Zeiten von sogenannten „Fake News“ ist die kritische Auseinandersetzung mit Quellen eine Fähigkeit, die es bereits früh zu lernen gilt. Dazu gehört die Arbeit mit den Quellen, aber auch durch das Hinterfragen von Quellen. Genau hier greift die Arbeit in der Erinnerungskultur ein: Wenn Zeitzeuginnen und Zeitzeugen über ihre Erlebnisse berichten, wie es in unseren „Oral-History-Projekten“ der Erzählcafés der Fall ist, oder wenn man in der Geschichtswerkstatt dazu animiert wird, eigenständig über die Vergangenheit der Stadt und der Menschen zu forschen, dann passiert etwas in unseren Köpfen. Wir beginnen zu begreifen, Muster zu erkennen, Verbindungen zu knüpfen – ein Teil des kollektiven Gedächtnisses zu werden.

 

Ohne Stadtarchiv keine Perspektive für die Zukunft

Deshalb ist es wichtig, solche und weitere Formate aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Zu zeigen: Gütersloh hat eine Vergangenheit, eine Geschichte – und die ist bedeutend! Sie veranschaulicht, wie und warum Entscheidungen getroffen wurden oder weshalb Gütersloh heute so ist, wie es ist. Wenn Schülerinnen und Schüler das Stadtarchiv besuchen kommen, wird mir immer wieder bewusst, wie gewinnbringend diese Arbeit ist. Im Rahmen von Führungen und Projekttagen versuche ich stets zu verdeutlichen, welches Privileg es ist, auf ein so gut aufgestelltes öffentliches Archiv zurückgreifen zu können. Und, dass dies nicht selbstverständlich ist. Denn Erinnerungskultur ist nur möglich, wo die Vergangenheit durch Zeugnisse irgendwelcher Art präsent ist – und wo diese einen Bruch zwischen Vergangenheit und Gegenwart bezeichnen. Das gilt nicht zuletzt für die Stadtgeschichte, die 2025 im Zuge des 200. Jubiläums der Stadtwerdung fortgeschrieben werden soll.  Die Forschungsarbeit mit den Quellen ist dazu eine entscheidende Voraussetzung. Ohne Stadtarchiv gibt es kein Gedächtnis, keine Geschichte, keine Vergangenheit – und, so drastisch es klingt, keine Perspektive für die Zukunft.

 

Zur Person

Am 1. September 2021 hat Julia Kuklik (22) die Nachfolge von Stephan Grimm als Leiterin des Stadtarchivs Gütersloh angetreten, der im Frühjahr dieses Jahres in den Ruhestand gegangen ist. Für die gebürtige Bielefelderin ist dies die erste Stelle nach ihrem dreijährigen Vorbereitungsdienst aus Theorie und Praxis zur Archivinspektorin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe und in einer Archivschule.


 

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